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MODERNE KUNST.
MODERNE KUNST:
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Tildchen Generalbeichte ablegen mußte, würde ein schöner Haufen
Schulden zusammenkommen. Aber er griff doch nach dem Hut und ging
zum Bürgermeister
Unterdessen war Ernst Heurath vor seiner Apotheke angekommen.
Er lachte vor sich hin und murmelte: „Poplige Bude!" Und dann drückte
er energisch die Türklinke herab und trat in den Laden. Bimmel, Bimmel,
Bimmel! begrüßte ihn der altvertraute Klang der Glocke, die ihm seit
einigen zwanzig Jahren jeden Kunden angemeldet hatte. Also nun ging
der Tanz los! Theater wollte er spielen und seinem Tildchen erst einmal
die Hölle tüchtig einheizen.
Ja, wo war denn der Robrecht. Kein Mensch im Läden? — Da brüllte
er los:
„Zum Donnerwetter, was ist das hier für eine Wirtschaft!"
Nebenan kreischten die Frauenzimmer auf, Grete, der Backfisch, er-
schien zuerst an der Tür.
„Na, Papa, weißte, schön blamiert hast du uns!"
Da bekam die einen Stoß, daß sie zur Seite flog, Hannchen hing an
seinem Halse, küßte ihn ab und jubelte, als sei ihr Vater wahrhaftig von
den Toten auferstanden. Dem wurde das Herz weit. Die Hanne, die er
immer ein bißchen zurückgesetzt 'gegen sein Nesthäkchen, war aus dem
Häuschen vor Freude, und die Grete, der er immer heimlich Leckereien
zugesteckt, schimpfte ihn aus. Das wollte er sich merken!
„Tag, Robrecht, da bist du ja auch! Na, war's zum Aushalten?"
„Geh' nur rein zu deiner Frau", sagte der. [Schluß folgt]
^.. Die Kunst des Puderns. ^=
Von Dr. Arthur Stiehler.
ach Schillers bekanntem Ausspruche regiert sich das Weltgetriebe
durch Hunger und durch Liebe; es mag in gewissem Sinne richtig sein;
aber wenn man von einem andern Gesichtswinkel aus vor allem in
die moderne Welt schaut, so findet man, daß Gold und Schönheit doch
auch eine sehr große Rolle spielen. Und darum ist es heutigen Tages keine
Eitelkeit, kein gesellschaftliches Verbrechen mehr, die körperliche Schönheit, —
so weit es möglich ist — zu erhöhen, sondern eine tatsächliche Notwendigkeit.
Schönheit empfiehlt, mehr als geschriebene Zeugnisse, mehr als die so oft über-
schätzten persönlichen Beziehungen. Diplome und Dokumente muß man zur Lektüre
erst an den richtigen Mann bringen; Konnexionen muß man spielen lassen, was
bisweilen schief geht; aber Schönheit hat schon besiegt, indem sie auftritt. Darum
ist auch die Pflege der Anmut und des Liebreizes heute anders geworden wie sie
früher war, intensiver, rationeller, natürlicher. Ehedem mochte jedes eitle Weib
möglichst bis ins
die Schönheit mit
geworden.
hohe Alter als eine veritable Venus gelten; heute sucht man
naturgemäßen Mitteln zu erzeugen; die Kosmetik ist ehrlicher
Es ist darum durchaus nichts Merkwürdiges, wenn der Puder, das bekannte
Schönheitsmittel in den folgenden Zeilen vom künstlerischen, sogar vom histo-
rischen Standpunkt aus betrachtet wird.'
Daß ich es gleich gerade heraus sage: der Puder ist nach neuester Auffassung
kein ganz echtes Schönheitsmittel; er erzeugt keine Schönheit; er täuscht sie
[Nachdruck verboten.]
nur vor; ein sehr schönes Gesicht braucht keinen Puder; aber er kann darum
erst recht nicht entbehrt werden — es gibt bekanntlich nicht allzuviel „sehr
schöne Gesichter". — Wie viele Dinge in Deutschland, hat sich auch die Kosmetik
zu einer Wissenschaft für die ganze Welt entwickelt, womit nicht gesagt sein
soll, daß sie nicht auch der Halbwelt ihre Dienste zu leihen verstände. Daß
der Handel mit Schönheitsmitteln bisweilen ein wenig mit Schwindel Hand in
Hand gehen soll, scheint nicht nur merkantile, sondern mehr noch psychologische
Gründe zu haben: .was der Mensch gern haben oder sein möchte, das glaubt er
ja so leicht; und wenn die Etiketten und Reklamezettel
unaufhörlich schreien: Unschädlich, unschädlich! Hilft
todsicher! Geld zurück, wenn die Schnurrbarthaare
nicht wachsen! usw. — so glaubt das der Mensch, be-
sonders wenn er ein Weib oder gar ein Kadett ist.
Übrigens kann man an den Puder auch ernste Be-
trachtungen knüpfen: wer könnte die Erzählung von
der Kaiserin Maria Theresia nicht tragisch finden, die
ohnmächtig vor ihrem Spiegel zusammenbrach, als sie
nach überstandener Pockenkrankheit ihr früher so engel-
schönes Antlitz von den abscheulichsten Narben ent-
stellt sah.
Natürlich hat es Leute gegeben, gibt
wird es immer geben,
und
Pu.
Schwabinger Boheme: Die Cafehausdichtcr.
es noch
die zum
der kein intimes Verhältnis finden
können: Puderhasser, Pudergegner,
wer weiß, ob es
nicht schon irgendwo
puderverein gibt; aber
kann die Meinung nicht
gebracht werden: die
Puderfeinde
einen Anti-1
von alldem
ins Wanken
Puderquaste ist ein Instrument von
Weltbedeutung, von welthistorischer Bedeutung.
In den Schulen wird gelehrt, daß Antonius wegen der
Schönheit der Frau Kleopatra das römische Weltreich fahren
ließ — ob diese königlich-ägyptische Meisterverführerin wirk-
lich schon das Puderbüchschen gehandhabt hat, könnte die
kosmetisch-historische Untersuchung bis jetzt noch nicht ein-
wandfrei nachweisen.
Man — oder vielmehr
noch das Weib — kann Pu-
dersünden begehen, für die
nun nicht gerade das Fege-
feuer oder ,die heißeste Ab-
teilung der Hölle mit Dauer-
brandöfen als Strafe gesetzt
ist; aber einen Frevel gegen
den guten Geschmack ver-
zeiht man einer schönen
Frau auch nicht leicht. Das
erste Pudergebot lautet dar-
um: Du sollst den Puder
nicht selbst sehen, sondern
nur seine ästhetische Wir-
kung empfinden lassen. Zu-
viel Puder und Schminke
ist schädlich, das beweisen
die grauen Gesichter unsrer Helden und Heldin-
nen, die beruflich unter dem Soffittenhimmel
arbeiten. Wer mit einer für ganz besondere
Lichtwirkungen gedachten, stark bemalten Theatermaske in Gesellschaft geht, ist
ein Puder- und Schminkenverbrecher; leider sehen das manche schöne weibliche
Sünderinnen nicht leicht ein. Zur Rokokozeit puderte man sogar die Rosen-
wangen dreijähriger Mädchen oder bedeckte sie mit blaßroter Schminke, weil
das frische, lustige, gesunde Naturrot der echten Jugend in jener Epoche für
unschön gehalten wurde; das war nicht nur sündig, es war ekelhaft. Wer heute
auf dem Markusplatze zu Venedig und den Nebenstraßen promeniert, dem gesellen
sich leicht gefällige dunkeläugige Italienerinnen bei, die, um das Wohlgefallen
nordischer Reisender zu erhaschen, ihr Gesicht überdeutlich hell gepudert haben;
wenn sie den Kopf hoben, wird man zurückgeschreckt vom Bronzebraun ihres
Halses; bei ihnen wird der faux pas in Puderdingen leicht auch noch zu einer
verkehrten geschäftlichen Manipulation.
Früher kannte man nur vier Farben des Puders: weiß, grau, grün und
schwarz; jetzt gibt es bei weitem mehr Nüancen. Des grauen Haarpuders
bedienten sich Damen, welche das Fade ihres gar zu blonden Schopfes mildern
wollten. Der schwarze wurde von Schönen gebraucht, welche brünetter zu sein
wünschten, als sie Mama Natur ins Leben geschickt hatte. Der blonde Puder ist
eine Erfindung der letzten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Heute wählen rosige
Blondinen eine schwache Rosaabtönung; ausgeprägte Brünetten mögen sich
eines Puders bedienen, der ein wenig ins Gelbliche oder Bläuliche spielt. Wer
grellen, weißen Puder zu stark aufträgt,
sieht aus wie eine Leiche oder ein Müller-
mädchen; beides ist nicht immer wünschens-
wert. In alten Modejournalen, am inter-
essantesten in solchen aus der ästhetisch
angehauchten Klassikerzeit, finden sich Pu-
derrezepte; es ist ganz vergnüglich zu lesen,
was unsereUr-Urgroßeltern darüber dachten:
Das Stärkemehl war
früher zwar immer der
gewöhnlichste Bestand-
teil des Haar- und Haut-
puders; aber Bohnenmehl
wurde immer für die beste
Zutat zum Puder gehalten.
Der so hoch angepriesene
Poudre de lipre war —
wie die Journale von 1795
verraten — nichts anderes
als Staub von verfaultem
Tannenholz, den man mit
ein wenig Regenwasser
anfeuchtete, zu einem
Teige knetete und dann
wieder von neuem pul-
verisierte, es kam
noch ein wenig Par-
füm dazu und die mo-
dische Welt zahlte,
was verlangt wurde
:— weil auch schon
Schwabinger
Boheme-Typen.
in früheren Jahr-
hunderten die Dummen nicht alle wurden. Eichenmoos, sorgfältig gedorrt
und präpariert, gab auch einen guten Puderstoff. Ganz besonders schlaue
Parfümeurs — so nannte man damals die Hersteller dieser und ähnlicher Mode-
artikelchen, namentlich in Italien — mischten noch feingestoßene Eierschalen
dazu. Sehen Sie, das war ein Geschäft! Für die schlechteste Sorte des Puders
wurde begreiflicherweise jener erklärt, den man aus gestoßenen Tabakspfeifen
oder gedorrten Kuhknochen hergestellt hat, vermutlich schon wegen des ursprüng-
lichen Naturparfüms.
Viel gerühmt wurde am Ende des 18. Jahrhunderts ein Puder, der mit
Spiritus vini geläutert sein sollte; ein offenherziger Journalist jener Zeit erklärt,
daß es nichts anderes sei, als Stärkemehl mit Weingeist besprengt; durch diesen
Zusatz sollte der Puder angeblich leichter werden. Es wird ferner berichtet,
daß man es in früherer Zeit versucht habe, Puder ohne Getreidemehl herzu-
stellen — es galt für unreligiös, ein Gesichtsverschönerungsmittel aus dem Haupt-
bestandteil des täglichen Brotes herzustellen; man hat es mit Kastanienmehl,
türkischem Korn, mit dem allerdings sehr weißen Mehle aus den Früchten der
Kornrade versucht und hielt sogar die Anpflanzung von ganzen Feldern dieser
Pflanze für lukrativ; aber all diese mehligen Substanzen erwiesen sich entweder
als zu matt, zu schwer oder fett und so kam man doch immer wieder auf das
Weizenmehl zurück. .
Woraus heutigen Tages der Puder gemacht wird? Du lieber Himmel, das
kann kein Professor der Chemie sagen und kein noch so großes Journalformat
aufzählen. Poudre de riz ner.nt es sich, aber es sind meist Mischungen von
Weizen- und Reisstärke, die noch einen Zusatz von mineralischen Pulvern
erhalten. Der sogenannte Fettpuder deckt natürlich viel besser und ist in vielen
Kreisen deshalb sehr beliebt; er besteht aus venetianischem Talkum, Zinkoxyd,
Baryt, Wismutweiß und wolframsaurem Baryt; als gefährlichste Substanz
enthält er bisweilen auch Blei-
weiß; man braucht nicht erst
zehn Semester Medizin zu stu-
dieren, um einsehen zu können,
daß eine so luftabschließende
Deckung die Atmung der Haut
unmöglich m acht und darum ver-
derblich auf das Wohlbefinden
des Menschen wirken muß.
Schwabinger Boheme: Omnia mea mecum porto.
Daß der Puder auch schon früher einer staatlichen Steuer unterworfen
wurde, ist eine Tatsache, die mehr amüsant als bekannt ist. Im Jahre 1795
führte der britische Minister William Pitt der Jüngere, da in den englischen Kassen
infolge des Krieges mit Frankreich und anhaltender Mißernten böse Ebbe war,
die Pudertaxe ein. Man zahlte eine Guinea — damals schon 21,50 M. wert, also
nach heutigem Geldstande ungefähr dreimal so viel — bekam dafür einen Frei-
zettel und durfte sich pudern so oft, so viel und wo man wollte. Es wird aus
London berichtet, daß infolgedessen der Ehrgeiz der englischen Gentry, der
jetzigen oberen Zehntausend, erweckt wurde; man puderte sich nicht mehr nur
aus persönlicher Koketterie oder Notwendigkeit, man schwang die verschönernde
Quaste zu Ehren des alten Englands und der Konstitution. Es war eine Doku-
mentation der Vaterlandsliebe, schlohweiß auszusehen wie ein Mehlsack. Die
Spötter der damaligen Tageszeitungen erfanden für die Heldinnen des reichlichen
Puderbrauches den schönen Namen „Guinea-pigs", zu deutsch ungefähr „Meer-
schweinchen", und ein bekannter Lord von der Oppositionspartei versuchte diese
Steuer dadurch lächerlich zu machen, daß er für seinen Rappen einen Puder-
freischein löste, das edle Tier vom Kopfe bis zum Schwänze bestäuben ließ und
auf dieser solchergestalt zum Meerschweinchen degradierten Rosinante im Hyde-
park, St. James und andern von der vornehmen Welt besuchten Örtlichkeiten
fleißig umherritt. Aber es half nicht; man lachte, ließ sich aber in seinem Puder-
patriotismus nicht stören. Übrigens darf man sich über derartige Toiletten-
extravaganzen der damaligen Londoner Gesellschaft nicht sehr wundern; es war
die Zeit, in der bei den Damen das später so verrufene Bauchkissen Mode war,
sozusagen das. antipodische Pendant zu dem nachmaligen Cul de Paris. Während
der französischen Revolution ist der Puder noch mehrmals in Beziehungen zur
Politik getreten. Das Journal de Paris von 1794 schreibt sehr lustig, wie man
unter dem eisernen Szepter des schmutzigen Sansculottismus wegen gepuderten
Haaren, aber auch zu knappen Beinkleidern und dicken Halskrausen in unan-
genehme Berührung mit der eigenartigen vom Doktor Joseph Ignace Guillotin
erfundenen Scheermaschine kommen konnte. Der Vollständigkeit halber wurden
nicht nur die gepuderten Haare mit Aufwendung sanktionierter Staatsgewalt
geschnitten, man kupierte gleich den Kopf mitsamt dem zugehörigen Hals, also,
daß der frühere Inhaber dieses Puderschädels nie wieder in die vermutlich nicht
genügend demokratischen Gepflogenheiten des Puders verfallen konnte. Als die
politische Windfahne später wieder nach der andern Seite herumgedreht worden
war, wurde das lebensgefährliche Puderbüchschen wieder gestattet, ja es geschah
sogar, daß nichtgepuderte Häupter mit Knitteln und Fäusten zum Bestäuben
angeregt wurden, was noch immerhin liebenswürdiger war, als das ehemalige
Köpfen aus Pudergründen.
MODERNE KUNST.
MODERNE KUNST:
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Tildchen Generalbeichte ablegen mußte, würde ein schöner Haufen
Schulden zusammenkommen. Aber er griff doch nach dem Hut und ging
zum Bürgermeister
Unterdessen war Ernst Heurath vor seiner Apotheke angekommen.
Er lachte vor sich hin und murmelte: „Poplige Bude!" Und dann drückte
er energisch die Türklinke herab und trat in den Laden. Bimmel, Bimmel,
Bimmel! begrüßte ihn der altvertraute Klang der Glocke, die ihm seit
einigen zwanzig Jahren jeden Kunden angemeldet hatte. Also nun ging
der Tanz los! Theater wollte er spielen und seinem Tildchen erst einmal
die Hölle tüchtig einheizen.
Ja, wo war denn der Robrecht. Kein Mensch im Läden? — Da brüllte
er los:
„Zum Donnerwetter, was ist das hier für eine Wirtschaft!"
Nebenan kreischten die Frauenzimmer auf, Grete, der Backfisch, er-
schien zuerst an der Tür.
„Na, Papa, weißte, schön blamiert hast du uns!"
Da bekam die einen Stoß, daß sie zur Seite flog, Hannchen hing an
seinem Halse, küßte ihn ab und jubelte, als sei ihr Vater wahrhaftig von
den Toten auferstanden. Dem wurde das Herz weit. Die Hanne, die er
immer ein bißchen zurückgesetzt 'gegen sein Nesthäkchen, war aus dem
Häuschen vor Freude, und die Grete, der er immer heimlich Leckereien
zugesteckt, schimpfte ihn aus. Das wollte er sich merken!
„Tag, Robrecht, da bist du ja auch! Na, war's zum Aushalten?"
„Geh' nur rein zu deiner Frau", sagte der. [Schluß folgt]
^.. Die Kunst des Puderns. ^=
Von Dr. Arthur Stiehler.
ach Schillers bekanntem Ausspruche regiert sich das Weltgetriebe
durch Hunger und durch Liebe; es mag in gewissem Sinne richtig sein;
aber wenn man von einem andern Gesichtswinkel aus vor allem in
die moderne Welt schaut, so findet man, daß Gold und Schönheit doch
auch eine sehr große Rolle spielen. Und darum ist es heutigen Tages keine
Eitelkeit, kein gesellschaftliches Verbrechen mehr, die körperliche Schönheit, —
so weit es möglich ist — zu erhöhen, sondern eine tatsächliche Notwendigkeit.
Schönheit empfiehlt, mehr als geschriebene Zeugnisse, mehr als die so oft über-
schätzten persönlichen Beziehungen. Diplome und Dokumente muß man zur Lektüre
erst an den richtigen Mann bringen; Konnexionen muß man spielen lassen, was
bisweilen schief geht; aber Schönheit hat schon besiegt, indem sie auftritt. Darum
ist auch die Pflege der Anmut und des Liebreizes heute anders geworden wie sie
früher war, intensiver, rationeller, natürlicher. Ehedem mochte jedes eitle Weib
möglichst bis ins
die Schönheit mit
geworden.
hohe Alter als eine veritable Venus gelten; heute sucht man
naturgemäßen Mitteln zu erzeugen; die Kosmetik ist ehrlicher
Es ist darum durchaus nichts Merkwürdiges, wenn der Puder, das bekannte
Schönheitsmittel in den folgenden Zeilen vom künstlerischen, sogar vom histo-
rischen Standpunkt aus betrachtet wird.'
Daß ich es gleich gerade heraus sage: der Puder ist nach neuester Auffassung
kein ganz echtes Schönheitsmittel; er erzeugt keine Schönheit; er täuscht sie
[Nachdruck verboten.]
nur vor; ein sehr schönes Gesicht braucht keinen Puder; aber er kann darum
erst recht nicht entbehrt werden — es gibt bekanntlich nicht allzuviel „sehr
schöne Gesichter". — Wie viele Dinge in Deutschland, hat sich auch die Kosmetik
zu einer Wissenschaft für die ganze Welt entwickelt, womit nicht gesagt sein
soll, daß sie nicht auch der Halbwelt ihre Dienste zu leihen verstände. Daß
der Handel mit Schönheitsmitteln bisweilen ein wenig mit Schwindel Hand in
Hand gehen soll, scheint nicht nur merkantile, sondern mehr noch psychologische
Gründe zu haben: .was der Mensch gern haben oder sein möchte, das glaubt er
ja so leicht; und wenn die Etiketten und Reklamezettel
unaufhörlich schreien: Unschädlich, unschädlich! Hilft
todsicher! Geld zurück, wenn die Schnurrbarthaare
nicht wachsen! usw. — so glaubt das der Mensch, be-
sonders wenn er ein Weib oder gar ein Kadett ist.
Übrigens kann man an den Puder auch ernste Be-
trachtungen knüpfen: wer könnte die Erzählung von
der Kaiserin Maria Theresia nicht tragisch finden, die
ohnmächtig vor ihrem Spiegel zusammenbrach, als sie
nach überstandener Pockenkrankheit ihr früher so engel-
schönes Antlitz von den abscheulichsten Narben ent-
stellt sah.
Natürlich hat es Leute gegeben, gibt
wird es immer geben,
und
Pu.
Schwabinger Boheme: Die Cafehausdichtcr.
es noch
die zum
der kein intimes Verhältnis finden
können: Puderhasser, Pudergegner,
wer weiß, ob es
nicht schon irgendwo
puderverein gibt; aber
kann die Meinung nicht
gebracht werden: die
Puderfeinde
einen Anti-1
von alldem
ins Wanken
Puderquaste ist ein Instrument von
Weltbedeutung, von welthistorischer Bedeutung.
In den Schulen wird gelehrt, daß Antonius wegen der
Schönheit der Frau Kleopatra das römische Weltreich fahren
ließ — ob diese königlich-ägyptische Meisterverführerin wirk-
lich schon das Puderbüchschen gehandhabt hat, könnte die
kosmetisch-historische Untersuchung bis jetzt noch nicht ein-
wandfrei nachweisen.
Man — oder vielmehr
noch das Weib — kann Pu-
dersünden begehen, für die
nun nicht gerade das Fege-
feuer oder ,die heißeste Ab-
teilung der Hölle mit Dauer-
brandöfen als Strafe gesetzt
ist; aber einen Frevel gegen
den guten Geschmack ver-
zeiht man einer schönen
Frau auch nicht leicht. Das
erste Pudergebot lautet dar-
um: Du sollst den Puder
nicht selbst sehen, sondern
nur seine ästhetische Wir-
kung empfinden lassen. Zu-
viel Puder und Schminke
ist schädlich, das beweisen
die grauen Gesichter unsrer Helden und Heldin-
nen, die beruflich unter dem Soffittenhimmel
arbeiten. Wer mit einer für ganz besondere
Lichtwirkungen gedachten, stark bemalten Theatermaske in Gesellschaft geht, ist
ein Puder- und Schminkenverbrecher; leider sehen das manche schöne weibliche
Sünderinnen nicht leicht ein. Zur Rokokozeit puderte man sogar die Rosen-
wangen dreijähriger Mädchen oder bedeckte sie mit blaßroter Schminke, weil
das frische, lustige, gesunde Naturrot der echten Jugend in jener Epoche für
unschön gehalten wurde; das war nicht nur sündig, es war ekelhaft. Wer heute
auf dem Markusplatze zu Venedig und den Nebenstraßen promeniert, dem gesellen
sich leicht gefällige dunkeläugige Italienerinnen bei, die, um das Wohlgefallen
nordischer Reisender zu erhaschen, ihr Gesicht überdeutlich hell gepudert haben;
wenn sie den Kopf hoben, wird man zurückgeschreckt vom Bronzebraun ihres
Halses; bei ihnen wird der faux pas in Puderdingen leicht auch noch zu einer
verkehrten geschäftlichen Manipulation.
Früher kannte man nur vier Farben des Puders: weiß, grau, grün und
schwarz; jetzt gibt es bei weitem mehr Nüancen. Des grauen Haarpuders
bedienten sich Damen, welche das Fade ihres gar zu blonden Schopfes mildern
wollten. Der schwarze wurde von Schönen gebraucht, welche brünetter zu sein
wünschten, als sie Mama Natur ins Leben geschickt hatte. Der blonde Puder ist
eine Erfindung der letzten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Heute wählen rosige
Blondinen eine schwache Rosaabtönung; ausgeprägte Brünetten mögen sich
eines Puders bedienen, der ein wenig ins Gelbliche oder Bläuliche spielt. Wer
grellen, weißen Puder zu stark aufträgt,
sieht aus wie eine Leiche oder ein Müller-
mädchen; beides ist nicht immer wünschens-
wert. In alten Modejournalen, am inter-
essantesten in solchen aus der ästhetisch
angehauchten Klassikerzeit, finden sich Pu-
derrezepte; es ist ganz vergnüglich zu lesen,
was unsereUr-Urgroßeltern darüber dachten:
Das Stärkemehl war
früher zwar immer der
gewöhnlichste Bestand-
teil des Haar- und Haut-
puders; aber Bohnenmehl
wurde immer für die beste
Zutat zum Puder gehalten.
Der so hoch angepriesene
Poudre de lipre war —
wie die Journale von 1795
verraten — nichts anderes
als Staub von verfaultem
Tannenholz, den man mit
ein wenig Regenwasser
anfeuchtete, zu einem
Teige knetete und dann
wieder von neuem pul-
verisierte, es kam
noch ein wenig Par-
füm dazu und die mo-
dische Welt zahlte,
was verlangt wurde
:— weil auch schon
Schwabinger
Boheme-Typen.
in früheren Jahr-
hunderten die Dummen nicht alle wurden. Eichenmoos, sorgfältig gedorrt
und präpariert, gab auch einen guten Puderstoff. Ganz besonders schlaue
Parfümeurs — so nannte man damals die Hersteller dieser und ähnlicher Mode-
artikelchen, namentlich in Italien — mischten noch feingestoßene Eierschalen
dazu. Sehen Sie, das war ein Geschäft! Für die schlechteste Sorte des Puders
wurde begreiflicherweise jener erklärt, den man aus gestoßenen Tabakspfeifen
oder gedorrten Kuhknochen hergestellt hat, vermutlich schon wegen des ursprüng-
lichen Naturparfüms.
Viel gerühmt wurde am Ende des 18. Jahrhunderts ein Puder, der mit
Spiritus vini geläutert sein sollte; ein offenherziger Journalist jener Zeit erklärt,
daß es nichts anderes sei, als Stärkemehl mit Weingeist besprengt; durch diesen
Zusatz sollte der Puder angeblich leichter werden. Es wird ferner berichtet,
daß man es in früherer Zeit versucht habe, Puder ohne Getreidemehl herzu-
stellen — es galt für unreligiös, ein Gesichtsverschönerungsmittel aus dem Haupt-
bestandteil des täglichen Brotes herzustellen; man hat es mit Kastanienmehl,
türkischem Korn, mit dem allerdings sehr weißen Mehle aus den Früchten der
Kornrade versucht und hielt sogar die Anpflanzung von ganzen Feldern dieser
Pflanze für lukrativ; aber all diese mehligen Substanzen erwiesen sich entweder
als zu matt, zu schwer oder fett und so kam man doch immer wieder auf das
Weizenmehl zurück. .
Woraus heutigen Tages der Puder gemacht wird? Du lieber Himmel, das
kann kein Professor der Chemie sagen und kein noch so großes Journalformat
aufzählen. Poudre de riz ner.nt es sich, aber es sind meist Mischungen von
Weizen- und Reisstärke, die noch einen Zusatz von mineralischen Pulvern
erhalten. Der sogenannte Fettpuder deckt natürlich viel besser und ist in vielen
Kreisen deshalb sehr beliebt; er besteht aus venetianischem Talkum, Zinkoxyd,
Baryt, Wismutweiß und wolframsaurem Baryt; als gefährlichste Substanz
enthält er bisweilen auch Blei-
weiß; man braucht nicht erst
zehn Semester Medizin zu stu-
dieren, um einsehen zu können,
daß eine so luftabschließende
Deckung die Atmung der Haut
unmöglich m acht und darum ver-
derblich auf das Wohlbefinden
des Menschen wirken muß.
Schwabinger Boheme: Omnia mea mecum porto.
Daß der Puder auch schon früher einer staatlichen Steuer unterworfen
wurde, ist eine Tatsache, die mehr amüsant als bekannt ist. Im Jahre 1795
führte der britische Minister William Pitt der Jüngere, da in den englischen Kassen
infolge des Krieges mit Frankreich und anhaltender Mißernten böse Ebbe war,
die Pudertaxe ein. Man zahlte eine Guinea — damals schon 21,50 M. wert, also
nach heutigem Geldstande ungefähr dreimal so viel — bekam dafür einen Frei-
zettel und durfte sich pudern so oft, so viel und wo man wollte. Es wird aus
London berichtet, daß infolgedessen der Ehrgeiz der englischen Gentry, der
jetzigen oberen Zehntausend, erweckt wurde; man puderte sich nicht mehr nur
aus persönlicher Koketterie oder Notwendigkeit, man schwang die verschönernde
Quaste zu Ehren des alten Englands und der Konstitution. Es war eine Doku-
mentation der Vaterlandsliebe, schlohweiß auszusehen wie ein Mehlsack. Die
Spötter der damaligen Tageszeitungen erfanden für die Heldinnen des reichlichen
Puderbrauches den schönen Namen „Guinea-pigs", zu deutsch ungefähr „Meer-
schweinchen", und ein bekannter Lord von der Oppositionspartei versuchte diese
Steuer dadurch lächerlich zu machen, daß er für seinen Rappen einen Puder-
freischein löste, das edle Tier vom Kopfe bis zum Schwänze bestäuben ließ und
auf dieser solchergestalt zum Meerschweinchen degradierten Rosinante im Hyde-
park, St. James und andern von der vornehmen Welt besuchten Örtlichkeiten
fleißig umherritt. Aber es half nicht; man lachte, ließ sich aber in seinem Puder-
patriotismus nicht stören. Übrigens darf man sich über derartige Toiletten-
extravaganzen der damaligen Londoner Gesellschaft nicht sehr wundern; es war
die Zeit, in der bei den Damen das später so verrufene Bauchkissen Mode war,
sozusagen das. antipodische Pendant zu dem nachmaligen Cul de Paris. Während
der französischen Revolution ist der Puder noch mehrmals in Beziehungen zur
Politik getreten. Das Journal de Paris von 1794 schreibt sehr lustig, wie man
unter dem eisernen Szepter des schmutzigen Sansculottismus wegen gepuderten
Haaren, aber auch zu knappen Beinkleidern und dicken Halskrausen in unan-
genehme Berührung mit der eigenartigen vom Doktor Joseph Ignace Guillotin
erfundenen Scheermaschine kommen konnte. Der Vollständigkeit halber wurden
nicht nur die gepuderten Haare mit Aufwendung sanktionierter Staatsgewalt
geschnitten, man kupierte gleich den Kopf mitsamt dem zugehörigen Hals, also,
daß der frühere Inhaber dieses Puderschädels nie wieder in die vermutlich nicht
genügend demokratischen Gepflogenheiten des Puders verfallen konnte. Als die
politische Windfahne später wieder nach der andern Seite herumgedreht worden
war, wurde das lebensgefährliche Puderbüchschen wieder gestattet, ja es geschah
sogar, daß nichtgepuderte Häupter mit Knitteln und Fäusten zum Bestäuben
angeregt wurden, was noch immerhin liebenswürdiger war, als das ehemalige
Köpfen aus Pudergründen.