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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 26.1911-1912

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21. Heft
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Burg, Paul: Die letzte Nacht in Auerbachs Keller
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https://doi.org/10.11588/diglit.31171#0732

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Die letzte Nacht in Auerbachs Keller.
Von Paul Burg.

Ber weltberühmte, seit Jahrhunderten allen Besuchern der Leipziger Messe
wohlbekannte, ehrwürdige Auerbachs Hof am Naschmarkt wird zurzeit
abgebrochen. Mit ihm sinkt auch der alte Auerbachs Keller in Schutt,
den Goethe im „Faust" unsterblich gemacht hat. Das Alte stürzt ....
Um die geweihte teuflische Stätte wenigstens in der lebendigen Erinnerung
einzelner festzubannen, hatte letzthin die Leipziger Gesellschaft „Terpsichore"
zu ihrer Stiftungsfeier den Entschluß gefaßt, sich von den ersten Künstlern der
Leipziger Städtischen Theater in Auerbachs Keller, wenige Tage vor seiner
endgültigen Schließung noch, die Kellerszene aus dem „Faust" vorspielen zu
lassen. Bei der Begrenztheit des Raums duldete diese wahrhaft seltene Auf-
führung nur an die vierzig Zuschauer, und wer, wie ich, auf liebenswürdige
Einladung hin, dabeigewesen ist, wird sein Geschick preisen und diese unver-
gleichliche Stunde nie in seinem ganzen Leben vergessen. Ludwig Heine führte
Regie an dieser Urstätte der Auerbachszenen und spielte selber den stummen
Faust, während der Faust der Leipziger, Wendt, diesmal den Zechern (Demme,
Brügmann, Huth, Hellmuth-Bräm) als Teufel kam. Unsereins saß als gescholtener
Rezensent still dabei und zerbrach für diese letzte Auerbachische Nacht die
kritische Kielfeder, um in seligen Träumen zu schwelgen.
. . . Johann Wolfgang, schlank und rank, steige, wie du nächtlich steinerner
Gast hinterm breiten, alten Lotterbau thronst, steige nieder, eile die paar schnellen
Schritte am löwenbewachten Brunnen
vorbei zum alten Kellertore hin. Die
Treppe knarrt wie vor hundertundfünfzig
Jahren, wenn du, der schönen Wissen-
schaften Liebhaber, mit Behrisch und
Oesern niederstiegst, am zerkerbten
Tische Faustens saßest und, in Eifer-
süchten grollend, das Faß, das große Faß
anstarrtest, als hätt' es selber dir dein
„Mädgen" entfremdet, verborgen. Schmäle
wieder, wie du wacker des galanten,
eleganten Klein - Paris Mademoisellchen
schaltest, spottend, daß ihr gutes Herz
durch keine allzugroße Lektüre verwirrt
sei und daß es bei ihnen mit der Ortho-
graphie nicht fortwill. Rase nicht und
weine nicht, mein Wölfchen, daß Jungfer
Katharine, die heißgeliebte Schönkopfin,
ohne dich mit ihrer Mutter in die Komödie
gegangen ist. Laß ihn, den Herrn Ryden,
in der Loge mit ihr kokettieren, schar-
muzieren! Bald wird sie aus sein, die
Komödie. Martre nicht dein armes Hirn,
nicht schwache Gänsekiele! „Wir sind
unsere eignen Teufel, wir vertreiben uns
aus unserm Paradiese." Drum schwing
den Humpen! Die Sonne ist wieder
da. Evoe!
Zum letzten Male. Die Stunden wei-
chen. Ergo Bibamus! Es glänzt uns ein
Bildchen, ein göttliches vor. Aus dem
offenen Flaschenkeller winkt der Fackel
roter Schein in die schwarze Finsternis,
und nur der Totenwurm pocht im Gebälk
der Treppe. Da, welch Raunen, Knistern!
Schwarze Schatten schleichen auf den
Stufen nach dem morschen Tische. Klirrte
nicht ein Becher hier, klappte nicht ein
Deckel dort? Und augenblicks erhellt
des Traumes Zauberlicht das traute Bild.
Die vier Zecher sitzen lachend um den
Tisch und singen, lärmen. „Uns ist ganz
kannibalisch wohl . ..."
Schritte auf der Kellertreppe. Mit
Doktor Fausten, würdig und weise im
wallenden Mantel, naht kecken Schritts
er selber, der Gottseibeiuns, im roten
Wams nach Ritterart, den Degen an der
Seite und auf dem Höllenhaupt die
Hahnenfeder. Die armen Schelme da
bei ihren Bechern, nun karessiert er sie
mit Lied und Spott, bewirtet sie mit
seinem Teufelswein und hat sie stark


Prof. Max Unger: Frithjofstatue für Norwegen.
Phot. Rich. Lissner, Berlin.

XXVI. Z.-Z. 21.

[Nachdruck verboten.]
zum besten eine gute Weile, bis sie den Teufel spürend, vom Rausch in schweren
Schlaf versinken.
Welch eine Szene! Hundertmal siehst du sie im Theater und horchst mit
Stolz und Lust auf jedes Wort. Und nun in diesem Raume, diesem alten Keller,
dessen geheiligt unheiligen Wänden sie entsprang, die unsterbliche Szene, die
Bildkraft behalten wird über alle Reinhardts und Theatereien hinaus. Wo der
Gedanke gottgegeben dem Bürschlein Johann Wolfgang im Weinrausch und
hohlen Eifersüchteleien zuerst ins Haupt gesprungen ist, daß ihn nach einem
Menschenalter der reife Mann in Formen gieße. Hier, wo des Faustus sagen-
hafte Menschheit Einkehr hielt, sitzt du, ein Enkel, durch den Zufall nur
berufen, und schaust das Bild, trinkst es mit allen Sinnen, du allen Ahnens bar,
wie dieses Sehen, dieses Fühlen dem Studentlein einst, als es zu Jahren kam,
durch seine Sinne brausend, schöpferkräftig gestürmt sein muß.
Horch, wie die Stimmen vom Gewölbe schallen! Nie sah eine solche Stätte
so lebendigen Spuk. Die Zecher packen ihre Becher mit heißen Händen wie
du und ich. Ihr Lied und Lärmen dröhnt im mitternächtigen Keller, daß schier
das hölzerne Kerzenkreuz im Atemwind zu schwanken scheint. Und gar der
Teufel! Wie edle Gesten und Gebärden sind ihm eigen, dem Herrn Baron!
Welch volle Sprache rollt von seinem höllischen Munde. — Der hölzerne Tisch
kann Wein auch geben? Fließt, Brünnlein, fließt! Verweile, Stunde, du bist so
schön und kehrest niemals wieder.
Jäh flammt die rote Glut aus dem
Pokal und da vom Dielenbrett. Der Spuk
ist also echt, verteufelt echt .Er
zerreißt. Das von allen, die aus England,
Italien, Rußland, Deutschland diesen
Keller aufsuchten, so oft geschmähte
Deckenlicht flammt noch einmal mit aller
Kälte auf und überstrahlt die verwischten,
zerbröckelten Deckenbilder, den unter-
ganggeweihten Keller mit grausamer
Helle, spiegelt sich in begeisterten Augen
und vernimmt den Schlag von dreißig,
vierzig Herzen, die eine unvergängliche,
unvergeßliche Stunde erlebten, die letzte
Auerbachiade.
Bei firnem Wein verrann den Un-
entwegten die letzte Auerbachische Nacht
voll Spuk und Poesie. Wo ist die Grenze?
Ist Spuk denn Poesie und Poesie nicht
heitrer Spuk? Alle Geister gingen um.
Johann Sebastian hielt selbsteigenhändig
die Uhr an vom Thomasturm, daß sie
keine Schatten störe. Gottsched, „dick
wie ein Federsack", stolzierte mit der
jungmageren Gottschedin über den Nasch-
markt. Behrisch lief von der Pleißen-
burg her, und Jung Wolfgang, ehe er
im bequemen Wagen eines Hauderers
aus dem Frankfurter Tore fuhr, ließ
Oesern an der Feuerkugel nicht auf sich
warten. Robert Schumann eilte ver-
sonnen zum Kaffeebaum, und heim-
kehrend sah ich an der Johanniskirche
Herrn Christian Fürchtegott Gellert aus
dem brüderlich geteilten Epitaphe steigen,
eine artige Fabel auf den vollen Lippen.
Und Frau Doktor Katharine Kanne, ge-
borene Schönkopf, schritt graziös mit
Rosalie Wagner ein artig Menuett um
die alten Gräber.
Ich sah sogar Madame Neuberin. Der
alte Hanswurst war freilich nicht mehr
in ihrem Gefolge. Und sie schritt stolz
einher, die verdienstvolle Mutter des
deutschen Theaters. Viele Geister gingen
spukhaft um, manche mit Rissen und
Plänen unter dem Arme wie Baumeister
am Tage. Soweit ich erkannte im fahlen
Mondschein, ging's um Theaterbauten im
neuen alten Leipzig, das seinen altenMusen-
tempel pietätlos abreißen will, wie man
eine Scheune durch eine andere ersetzt.
 
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