Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 26.1911-1912

DOI Heft:
24. Heft
DOI Artikel:
Anwand, Oskar: Große Berliner Kunstausstellung 1912, II
DOI Artikel:
Berlin, Margarete von: Der tote Meister
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.31171#0829

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
3°6

MODERNE KUNST.

MODERNE KUNST.

307

schönen Flächenwirkung auf; man muß sie dafür in Dresden
suchen. Entscheidet hier vielfach das ehrwürdige, schloßartige
Element der Bauten mit ihren Plätzen, Terrassen und Brücken,
so gehen Kallmorgens Arbeiten in das Hafen- und Marinebild
über. „Wenn die Lichter angezündet werden" gibt ein Motiv
von der Alster mit delikater Farbenwirkung. Ebenso trifft Kall-
morgen im Rathaus zu Bremen den schweren Ton, der den alten
Hansastädten durch ihre feuchte, wasserhaltige Luft eigen ist.
In ähnlicher Weise holt dieser Künstler, der in der Abteilung
„Deutsche Sädtebilder" am stärksten vertreten ist, seine Motive
aus der Umgebung von Berlin. Anstatt Gotthard Kuehl hat
Siegfried Mackowsky zwei schöne Arbeiten ausgestellt, die das
winterliche Dresden zeigen. Es ist verwunderlich, daß viele der
schönsten Motive dem Süden Deutschlands entnommen sind.
Hans Thoma bietet einen Ausblick auf den Flußlauf des Neckar
und das idyllische Städtchen Besigheim, dessen Dächer sich trau-
lich mittelalterlich um die Kirche schmiegen. Gustav Schönleber
zeigt Laufenburg, das rechts und links des felsigen, romantischen
Oberrheins liegt, oder läßt Straßburg mit seinem Münster und
seinen Dächern in das Goldnetz des Lichtes steigen. Wilhelm
Trübner gewährt eine Fernsicht über die Waldhöhe bei Heidelberg
mit der Burg über den Neckar und die Ebene auf Mannheim zu, die
sich im Lichtkegel der Abendsonne fächerartig ausbreitet. Ernst
Liebermann hat aus dem Park und dem Schloß von Nymphen-
burg durch die Mondbeleuchtung in lichtblauen Tönen und
Schatten eine reizvolle träumerische Stimmung geschaffen, und
Richard Kaisers Blick auf Magdeburg läßt über dem Grün der
Landschaft längs des Flußlaufes nur fern und klein die Türme der
Stadt auftauchen. So ergibt sich in vielen dieser Städtebilder
eine Mischung zwischen freier Natur und dem architektonischen
Element; doch sind auch Motive aus dem Innern der Städte
nicht selten. Zu ihnen gehört Charles Vetters „Viktualien-
markt in München", ein Bild, in dem sich die Menschen fast
schwarz Vom Schnee abheben, und das die helldunklen Töne
gut variiert.
Auf die Berliner Künstler, soweit ihnen Sonderausstellungen
eingeräumt sind, bin ich bereits im vorigen Aufsatz eingegangen.
Auch sonst treten wieder die bekannten Namen hervor: Oskar
Frenzels feine, stille Landschaften, die Porträts Hugo Vogels
und die Interieurs A. von Brandis, um aus der reichen Zahl nur
einige zu nennen. Auch diesmal ist Marie von Eickhof-Reitzenstein
mit einer farbig-schönen, ausgeglichenen Leistung vertreten. Von
Paul Halke stammt das kräftige Bild „Vor hundert Jahren", das
einige französische Soldaten in den verschneiten Steppen Ruß-
lands um ein Wachtfeuer versammelt zeigt, und William Pape
hat die interessante „Sitzung der Budgetkommission im Reichs-
tag" ausgestellt.
Auch diesmal haben die Münchner Künstler nur zum ge-
ringeren Teile mit den Berliner Künstlern zusammen ausgestellt,
die- Mehrzahl ist in den besonderen Münchner Sälen vereinigt.
Hans von Bartels hat wiederum ein temperamentvolles und in
der Bewegung gut erfaßtes Aquarell: „Bretonische Wäscherei"
eingesandt. Von Theodor Rocholl stammt ein effektvolles Bild
„Tscherkessenbeute ", das „Moderne Kunst" in farbiger Aus-

führung demnächst ihren Lesern darbieten wird. Eine gute vor-
nehme Arbeit ist Walter Firles Porträt des Prinzregenten. Ebenso
müssen Rudolf Schramm-Zittaus „Spielende Gänse" hervorgehoben werden,
die unsern Lesern bereits bekannt sind. Paul Leuteritz hat mit flotten Pinsel-
strichen einen „Kater auf dem Ofen" gemalt, Georg Papperitz etwas süßlich
ein kleines Mädchen. Sonst seien noch Otto Strützels „Isarthal" und Leopold
Schönchens „Abendpromenade in Norderney" hervorgehoben.
Dem Düsseldorfer Gerhard Janssen ist nächst Gari Melchers die größte
Sonderausstellung bewilligt. Dieser Künstler hat sich an den Niederländern,
besonders an Franz Hals' keck zugreifender Art gebildet. So malt er Szenen
und Köpfe aus jener derben und behaglichen Bauernwelt, die wir ähnlich von
den Niederländern her kennen. Nur verleiht er ihnen einen breiten, flächigen
Ton, fast als wären seine Bilder aus Farbenlappen zusammengesetzt. Zweifellos
besitzt Gerhard Janssen starke malerische Fähigkeiten, die manchmal jedoch ins
Absichtliche ausarten. Eduard von Gebhardt ist wiederum mit zwei Bildern aus
dem Leben Jesu vertreten, das eine „Ihr Heuchler, was versuchet ihr mich ..."
stellt Jesus im Tempel unter den Schriftgelehrten dar, und ist also wie viele
Bilder dieses Künstlers figurenreich mit starker Charakteristik der Köpfe gehalten.
In dem zweiten nimmt Christus von seiner Mutter Abschied, wobei das Genre-
hafte dieses Motivs durch den Weinkrug, der in der Nische der Mauer steht, und
die Schere und Wäsche, die neben Maria liegen, noch erhöht wird. Auch hier
hat, der Künstler das Gewand der Reformationszeit beibehalten und schädigt
sich gelegentlich durch das Zuviel von Kleinigkeiten. Auf W. Schreuers
„Tanzsaal" habe ich in meinem ersten Aufsatz bereits hingewiesen. Wilhelm
Hambüchen hat einen „Frühen Herbstmorgen" von schöner Stimmung, und Eugen


William Pape: Eine Sitzung der Budgetkommission im Reichstag. Große Berliner Kunstausstellung 1912.

Kampf ein „Flandrisches Gehöft" eingesandt. An die genannten Künstler sei
hier noch der Dresdner Ferdinand Dorsch mit seinem Gemälde „Ball" angefügt.
Die Ausländer sind gleichfalls mit wenigen Ausnahmen in einem besonderen
Saale vereinigt. Zu diesen Ausnahmen ge-
hört Frank Brangwyn, der diesmal nicht nur
mit Radierungen, wie im Vorjahre, sondern
auch als Maler auftritt. „Im Metalladen" ist
eine Arbeit von starkem malerischen Reiz mit
guter Verteilung der helldunklen Farben, die
unwillkürlich auf den Schwarz -Weiß-Künstler
hinweisen.
Sonst treten, von dem bereits besproche-
nen Engländer Albert Crahay abgesehen, der
Spanier J. Sorolla y Bastida mit „Nach dem
Bade" und die Holländer Isaac Israels mit
einem Motiv vom „Montmartre" hervor. Die
Schwarz -Weiß -Abteilung hat diesmal
rich Wolff und den Königsberger
eine Sonderausstellung vorgesehen,
seien unter den Radierern wiederum


1 V. Einem, Kriegsminister; 2 v. Tirpitz, Großadmiral; 3 Frhr. v. Gamp, Vors.; 4 v. Kardorff; 5 Dr. Arendt;
6 v. Böhlendorff-Kölpin; 7 v. Staudy; 8 Graf Schwerin-Löwitz; 9 v. Normann; 10 Graf Stolberg-Wernigerode:
ll Frhr. v. Richthofen; 12 Dr. Suedekum; 13 Ledebour; 14 v. Elern; 15 Liebermann v. Sonnenberg; 16 Dr. Semler;
17 Bebel; 18 Singer; 19 Dr. Müller-Meiningen; 20 Dr. Wiemer; 21 Dr. Eickhoff; 22 Graf Orjola; 23 Dr. Paasche;
24 Will; 25 Dr. Spahn; 26 Erzberger; 27 Frhr. Dr. v. Hertling; 28 Gröber; 29 Fehrenbach; 30 Nacken: 31 Graf
Mielzynski; 32 Speck; 33 Admiral Capelle; 34 Prinz Schönaich-Carolath; 35 Bassermann; 36 Admiral Dähnhardt;
37 Frhr. v. Gebsattel, General; 38 Prinz Arenberg; 39 General Sixt v. Arnim; 40 Oberst Wandel; 41 Freiherr
v. Stengel, Reichsschatzsekretär; 42 General von Wachs.

für Hein-
Graphile
Ferner
der Ber-

liner Erich Wolfsfeld, so z. B. mit seinem präch-
tigen Blatte „Schachspieler", und Georg Jahn
etwa mit den „Badenden Mädchen" hervor-

gehoben. Über diesen Künstler wird das nächste Heft der „Modernen Kunst"
einen mit Abbildungen versehenen Aufsatz bringen.
Die Plastik steht diesmal nur auf mittlerer Höhe. Eine ausgezeichnete
Brunnenfigur rührt von der Hand Arthur Lewin-
Funckes her und besitzt wieder die edle Har-
monie und die vortreffliche Durcharbeitung,
die den Werken dieses Künstlers eigen ist. In
seinem Kinderakt ist die glückliche, sichere
Erfassung eines Moments mit der Porträt-
treue in seltener Weise vereinigt. Auch „Der
Speerwerfer" von Karl Möbius erweist sich
als plastisch ausgeglichene Arbeit.
Sonst seien noch Fritz Schaper, Fritz Heine-
mann, Hermann Pagels und ähnliche Künstler
genannt.
Recht unglücklich wirkt Otto Illemanns Kopf
Klingers, der seine eigne, gleichsam vor ihm
schwebende Künstlerfaust tiefsinnig betrachtet.
Das gleiche gilt von Franz Metzners Statue
der Industrie mit dem kindlich kleinen Kopfe.
Es erscheint nicht zufällig, daß diese Plastiker
gerade an Aufgaben scheitern, die in das Gebiet
der Phantasie hinüberragen.

Der tote Meister.
Skizze von Käte Damm.
-feu.-[Nachdruck verboten.]
r war schon zwei Tage tot, als sie die Nachricht in einem
zufällig in das Altfrauenstift verwehten Zeitungsblatte las.
Sie saß unter den breitästigen Kastanien des Gartens,
der die Insassen darüber forttäuschte, daß das Stift in dem fast
volkreichsten Teile der Stadt lag. Bis hinein in den Garten, über
die hohen Mauern hinfort, die das Haus von der Straße ab-
schlossen, drang nur gedämpft der Lärm der Straßen. Und der
Garten ließ die Stiftsbewohnerinnen auch vergessen, daß sie so
einsam waren. Denn im Garten unter den Kastanien trafen sie
sich in sommerlichen Nachmittagsstunden. In das Stift drangen
auch selten Nachrichten aus der „großen" Welt draußen, man
begnügte sich mit dem Besprechen der Angelegenheiten der
kleinen engen Welten, denen die Stiftsfrauen oder Fräulein ent-
stammten. Mit den großen Fragen der Kunst und Wissenschaft
hatten sie sich nie beschäftigt, und als Dorothea Hollerbaum,
die flüchtig in das alte Blatt schaute, rief: „Der große Meister
ist tot", fragten die andern: „Wer ist tot? Welcher Meister?"
Fast mechanisch gab Dorothea Bescheid, bemüht, den neu-
gierigen Frauen nicht zu verraten, wie groß ihre Anteilnahme war.
„Nun, der, der all die schönen Denkmäler erdacht und ge-
macht hat — in Stein und Marmor gehauen oder in Erz gegossen
— da auf dem Platz und auf dem Platz und da und dort — Sie
sind doch alle aus der Stadt — Sie kennen doch die Bildwerke."
„Ach so!" sagte Mine Fresemann erstaunt, „davon machen
Sie so'n Aufhebens. Die alten gräßlichen weißen Figuren, die
so weiß und tot aussehen, daß man sich grault, wenn man abends
vorbeikommt — und das ist doch egal, wer die gemacht hat.
Ob der so heißt oder so —."
„Man sagt ja, das soll sehr schwer sein," nahm ein ganz
altes Weiblein das Wort, „und die Leute kriegen erschrecklich
viel Geld dafür, so viel, daß sie im Golde wühlen können —
während wir hier in aller Armut auf den Tod warten."
Mine Fresemann wurde böse, sie hatte, als sie jung war, in
aristokratischen Häusern gedient und verwies der Witwe eines
heruntergekommenen Kaufmanns und Volksredners gern ihre
allzu demokratischen Ausfälle.
Dorothea Hollerbaum aber sagte höflich zu Frau Neubrücker,
die ihre Strickwolle in dieses Blatt eingewickelt hatte: „Bitte,
ich habe immer so gern von Kunst gelesen, geben Sie mir das
Blatt, ich hole Ihnen auch einen andern Bogen für das Garn."
Das wollte Frau Neubrücker natürlich nicht annehmen, und
Dorothea steckte das Blatt in ihre Tasche, um es abends, als
sie allein in ihrem Stübchen saß, zu lesen. Sie hatte ja schon
immer gehört, schon ehe sie im Stift war, als sie noch plätten
und ausbessern ging, daß „ihr" Kunstschüler solch großer
Meister geworden sei, aber dieses Blatt, das neben seiner Todes-
nachricht noch eine Würdigung seiner Kunst enthielt, war ihr
wie eine Offenbarung. Ein hohes Alter hatte er erreicht, ein

fürstliches Vermögen hatte er erworben, Titel und Orden und
Auszeichnungen waren ihm verliehen, eine stolze, schöne Frau
betrauerte ihn und Söhne und Schwiegersöhne in hohen Ämtern und Würden,
aber sie, sie, Dorothea Hollerbaum hatte ihn gekannt, als er noch ahnungslos
seiner künftigen Größe mit der Kunst und dem Leben rang. Bitter rang! Er
wohnte damals bei ihrer Mutter, die Zimmer vermietete, sie war ungefähr zwei
Jahre älter. Wenn er klagte: ich bringe es zu nichts, dieser Entwurf war
schlecht, und jener ist nicht geglückt — dann war sie's, sie, die junge Dorothea,
die für Fremde plättete und nähte, die ihm Mut zusprach, ihn wieder aufrichtete.
Nicht, daß ihr, dem Kind aus dem Volke, seine Kunst das sagte! Nein, nur ihr
Herz, der Wunsch, der Jüngling möchte die Wege zur höchsten Kunst gehen,
ließ sie die Worte finden, die er brauchte, um nicht zu verzagen, um neu zu
schaffen. Als er schließlich dann den Preis — ein Stipendium für ein Studien-
jahr in Italien — errungen hatte, schieden sie. Vor ihm stand jetzt, nun die
schwere Zeit des Zweifels überwunden war, der Weg zum Ruhm, vor ihr die
stille Kleinarbeit der Frauen. Er hatte ihr versprochen, sie nicht zu vergessen,
nicht in dem Sinn einer besonderen Zuneigung des Mannes zum Weibe, dazu
war Dorothea Hollerbaum nicht die Rechte für den heißblütigen Künstler, aber in
dem Sinn einer Dankbarkeit für Rat und Stütze, einer Dankbarkeit dafür, daß er
nicht bei den ersten Fehlschlägen der Verzweiflung anheimgefallen war. Ihr ehr-
licher, schlichter Sinn, mit dem sie ihr Leben meisterte: „Immer versuchen, immer
neu versuchen, nie den Mut verlieren, einmal muß es doch gelingen!" hatten ihn
stark, tüchtig, zum ehrlich nach dem Höchsten ringenden Künstler gemacht.
Sie hatte wohl während der vielen Jahre von seinem Aufstieg gelesen, von
seinen Erfolgen, von seinem sich mehrenden Reichtum. Nie wieder hatten sich
 
Annotationen