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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 26.1911-1912

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Wolter, Franz: Zweite juryfreie Kunstausstellung in München
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https://doi.org/10.11588/diglit.31171#0159

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MODERNE KUNST.

Jahr in derselben Abrundung wiederkehrt. Vernünftige und großzügig denkende
Künstler haben auch eine jurylose Ausstellung begrüßt, und was Lenbach schon vor
vielen Jahren äußerte: „einem jeden Künstler gönne man den Platz an der Sonne",
wiederholten mit andern Worten mir gegenüber bei der Eröffnung der Ausstellung
sowohl der konservative Altmeister Franz v. Defregger, als der für alles Gute, Neue
begeisterte Führer der Sezession Albert von Keller. — Wer in dem Wechsel aller
Dinge den Fortschritt erkennen kann, wird es aufs freudigste begrüßen, daß der
Künstler in erster Linie Selbsterlebtes und Selbstgeschautes darstelle, wird
sich freuen, wenn neue Wege zu alten Zielen gesucht werden, ohne Rück-
sicht darauf, ob der oder jener Kollege daran Gefallen findet oder nicht.
Gerade diese selbsterlebte Welt, mag sie noch so klein und unscheinbar er-
scheinen, ist uns wertvoller als eine spekulative, geglättete, ausgeklügelte
Allerweltskunst, die nirgends anstoßen möchte. Vor allen Dingen aber,
was unsere Zeit in allen Lebensäußerungen durchglüht „die Freiheit".
Warum gerade die Kunst bevormunden, sie in spanische Stiefel einschnüren,
die doch am freiesten sein soll! Freiheit in der Kunst gerade für die Genies,
die in der Arena des Kampfes ringen, indem sie Neues, bisher Ungesehenes
zeigen wollen. Freiheit für die, welche über die engen Schranken der Kon-
vention sich hinwegsetzen, jede künstlerische Möglichkeit in Szene setzen,
dann Freiheit für die, welche ihre ganze Kraft aufbieten, ein bisher uner-
hörtes Problem zu lösen, sei es nur des Problems wegen. Das alles kann
ja nicht in den sonstigen großen Ausstellungen aufgenommen werden, weil
erstens das Verständnis dafür mangelt, dann aber auch, weil die allem
Unvollendeten und Neugeborenen anhaftenden Mängel abschrecken könnten.
Aber man vergißt, daß gerade hier Werte für die Zukunft verborgen ruhen,
dafür spricht die ungelenke, einfältige, aber doch so kraftvolle Ausdrucks-
weise, wenn man in der Ausstellung Umschau hält. Oft in primitivster,
naiver Form, dann wieder mit dem Aufgebot von hunderten von Mitteln.
Auf den Kunstfreund machen diese Erscheinungen einen fesselnden Ein-
druck gerade deshalb, weil sie ohne Hinblick auf irgendwelche kulturelle
oder traditionelle Einflüsse hin entstanden sind. Aus der großen Fülle des
Gebotenen wurde schon eine Anzahl trefflicher Werke von anderer Seite
hervorgehoben, trotzdem finden wir stets neue und interessante Erschei-
nungen. Max Feldbauer, der Führer des Bundes, der virtuose Max
E. Giese, der verstorbene Ch. Palmie und manch andere starke Persön-
lichkeit wurden bereits genannt, auch Hugo Schimmel, der zu den
verdienstvollsten Leitern des jungen Unternehmens zu zählen ist. Unter


Ludwig von Senger: Alte Häuser. Juryfreie Kunstausstellung, München.

seinen Werken dürfte wohl das vornehme Damenbildnis „Im Zwielicht" die stärkste
Probe seines reichen Könnens darstellen. Mehr ins poetische hinübergeleitend, hat der
Künstler eine feine diskrete Wirkung mit der zartgegliederten nackten Schönen unter
duftender Blumenhülle erzielt. Auf nur wenige Farbakkorde ist die „schwarze Maske"
von Walter Waentig gestimmt.
In ähnlicher, etwas luftiger Art, in fein grauen Tönen mit dem pikanten
schwarzen Fleck des Hundes im Vordergrunde, schildert Alfredo Guttero ein junges
ruhendes Mädchen in Unterhaltung mit ihrem Liebling. Etwas kräftigere Farbentöne
suchte Max Lüty in dem Bildnis seines Sohnes, im Gärtchen stehend mit der Gieß-

kanne, in überraschend lieblicher Einfachheit. Wie auf allen Ausstellungen, so weist
die Landschaft das stärkste kultivierteste Gebiet auf. Ad. Glatte, Karl Bössen-
roth, Jul. Carben, Ernst Dargen, Fr. Rich. Hartmann, H. Hoff und H. Hooge
sind uns von früheren Darbietungen noch in bester Erinnerung. Hans v. Biehler
bringt eine liebenswürdige träumerische Landschaft von der bayerischen Hochebene,
in der so recht die charakteristische Eigentümlichkeit des Landes wiedergegeben ist.
Wuchtig, fast monumental hat Joachim Wrage ein aufzieliendes Gewitter von der


Adeline Koerner: Stilleben. Juryfreie Kunstausstellung, München.

Insel Sylt mit den einfachsten, aber eindringlichsten Mitteln ausgestellt,
ein Werk, das den Beschauer lange gefesselt hält ob seiner tiefernsten
melancholischen Stimmungsgewalt.
Etwas von echt deutscher Stimmung trägt auch Carl Steiners
„Fränkische Landschaft", dessen schlicht dekorative Farben einem Volks-
lied zu vergleichen sind. — Ludwig v. Sengers Kunst macht erfreu-
liche Fortschritte, man verfolgt mit Spannung, wie der anstrebende
Künstler stets der Natur neue Seiten eines Themas in der Stimmung
abzugewinnen versucht. Unter seinen fünf Landschaften ragt wohl das
Wassermotiv mit den alten von der Abendsonne grell beleuchteten
Häusern als bedeutendste hervor. — Erich Riefstahl hat in dem
Bilde „Neuschnee" die klare Luft mit dem zarten Nebel und dem
kalten Grün der Natur zu einem unendlich feinen Akkord gestimmt,
der mit treuster Naturbeobachtung vereint, von inniger, liebevoller
Durchbildung spricht. Unter den vielen und trefflichen Stilleben u. a.
von M. Laumen mögen auch die Stilleben und Blumenstücke von
Adeline Koerner, besonders das Levkoyen-Stück genannt sein, ob
der famosen künstlerisch wirkenden Technik und der feinen und doch
wirkungsvollen Wiedergabe der zarten Kinder Floras. Erwähnen wir
noch die trefflichen Leistungen von Eugenie Bandel, H. Behmer, Felix
Borchardt, G. Carre, J. Eberz, R. Edenhofer, H. Frobenius, Ph. Graf,
M. Grönvold, J. Hegenbarth-Elbleiten, R. Junghaus, P. Kaemmerer,
A. Killermann, A. Konetzke, W. Krain, J. Martini, D. Mastaglio, Col.
Max, L. Pelling-Hall, Fr. Scherer, C. Schweitzer, Ed. Staudinger, S. v.
Straszewski, E. Urban, M. v. Viebahn, V. Weichart, A. Wimmenauer,
M. Wislicenus, C. Ziegra. — Steht die Plastik auch numerisch gegenüber
der Malerei zurück, so weist sie dennoch einige ganz achtungswerte
Leistlingen auf, die namentlich im ersten Saal Aufstellung fanden.
Franz Schaufenbühl ist einer von denen, die bei größerer Mäßigung
es noch zu bedeutenden Leistungen bringen können. Vortrefflich ist auch
der schmerzvoll empfundene männliche Kopf von Marg. Hoenerbach, der aus Torf
geschnittene betende Bauer von Maria Kacer und die originell erdachte Frauenbüste
mit dem Schmuckkästchen von dem Wiener Theod. Charlemont. — Noch manches
ließe sich hier einreihen und noch viele bedeutende Namen dürften mitgenannt sein,
man wird sie ein andermal würdigen, denn die etwas können, etwas sagen wollen und
zu sagen haben, werden nächstens wiederkehren, und sogar besser; diejenigen jedoch,
welche unter dem Gefrierpunkte stehen, bleiben nächstens wohl von selbst ferne,
weil für sie auch auf einer jurylosen Ausstellung keine Möglichkeit des Emporkom-
mens gegeben ist, wie schon die ganz kurze Geschichte des Verbandes dies beweist.
 
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