Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift (26.1911-1912)

BEILAGE ZUR „MODERNEN KUNST".

ihr Spiegelbild. Mit feinem, von leiser Wehmut
durchhauchtem Humor plaudert sie von ihrer ersten
Ehe mit dem Schauspieler Josef Szigligeti, dem Sohne
des berühmten ungarischen Nationaldichters — einem
Trunkenbolde — der die Unerfahrene noch als un-
mündiges Kind an sich riß, bis sie sich durch die Flucht
vor seinen Gewalttätigkeiten rettete. Ebenso gewinnt
der Leser einen Einblick in Ilka Pälmays romantische
Vermählung mit dem Grafen Kinsky, die zuerst geheim
gehalten wurde. Idyllische Szenen, jauchzendes Glück,
Verzweiflung und Kämpfe wechseln in schneller Folge
und die glänzenden Salons des österreichischen Adels
ziehen an seinem Auge vorüber. Dann werden wir wieder-
um auf die Bühne versetzt, wobei die Künstlerin auch
ihrem Humor die Zügel schießen läßt. Die Neidereien
der Primadonnen und ihre Streitigkeiten, die vor dem
Publikum in seltsamen Extempores ausgefochten werden,
und die Geheimnisse der Garderoben spielen dabei eine
pikante Rolle. So lernen wir Ilka Pälmay aus ihren
„Erinnerungen" als eine anregende Erzählerin und als
eine geschlossene Persönlichkeit kennen, deren künst-
lerischem Wesen ihr bewegtes Leben und der flotte,
frische Plauderton ihres Buches entspricht.

Pädagogische Briefe einer Mutter.
Von Felicitas Rose.
Deutsches Verlagshaus Bong & Co., Berlin-Leipzig.
Preis geh. 3 Mark, geb. 4 Mark.
Die mannigfachen Eindrücke, die der Mensch in
seiner Jugend erfährt, sind zweifellos für seine ganze
spätere Entwicklung und die Gestaltung seines inneren
Wesens bestimmend. Eltern und Lehrer, überhaupt
alle, die berufen sind, der Jugend Führer zu sein, wissen,
daß man eigentlich „zum Erzieher geboren sein muß".
Von seinem Talent einzig und allein hängt es ab, Licht
und Sonne, Lust und Freude, Kraft und Mut in die
jugendlichen Seelen strömen zu lassen. Wer also die
hohe Kunst der Erziehung mit Erfolg geübt hat, dem
sollte es eine heilige Pflicht sein, die Erfahrungen, die
ihm die Kindesseele aus ihren tausend Geheimnissen
und Rätseln enthüllt hat, nicht ängstlich zu verschließen,
sondern er sollte verkünden, was er selbst beim Lehren
gelernt hat. Diese Forderung hat die beliebte Schrift-
stellerin Felicitas Rose erfüllt, die in ganz Deutschland
durch ihre vorzüglichen Erzählungswerke bekannt ist.
In einer Sammlung mit dem Titel „Pädagogische Briefe

einer Mutter" liefert sie einen außerordentlich wertvollen
Beitrag zur Erziehungsliteratur, und aus jedem ihrer
Worte spricht die tiefe Erkenntnis: „Und hätte ich alle
Weisheit und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts
nütze." So zeigt sie Täler und weite liebliche Strecken,
auf denen man die Kindesseele, die gleich einem klaren,
springenden Quell aus geheimnisvollen Tiefen zum
Tageslicht empordrängt, für die Aufgaben des Lebens
heranbilden kann. Schon die Themen, die sie behandelt
wie z. B. „Die Kinderstube", „Vom Gehorsam und vom
Verzeihen", „Die erste Lüge", „Schule und Haus",
„Flegeljahre", „In der Pension", „Die Ehegatten unter-
einander", „Der erste Liebesbrief", „Kinder und Tiere",
„Ordnung, Sauberkeit, Einfachheit", „Von der Lektüre",
„Hausmusik" u. v. a., sind so bedeutungsvoll, daß sie
sicherlich allseitigem Interesse begegnen. Mit ihren
„Pädagogischen Briefen" hat uns Felicitas Rose, die auch
in maßgebenden Kreisen als Autorität in Erziehungsfragen
anerkannt ist, ein prächtiges, herzgewinnendes Büchlein
auf den Weihnachtstisch gelegt, das in allen Kreisen der
Bevölkerung die weitgehendste Beachtuug verdient und
für Eltern und Erzieher als treuer Freund und Berater
nicht warm genug empfohlen werden kann.


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