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sich bald nur mechanisch-technischer Mittel bedienen wird, betrachten, wenn
man davon absieht, daß gerade in diesen Arbeiten traditionsgebundene, oft direkt
reaktionäre Elemente enthalten sind.

Man vernachlässigte früher in der Fotografie vollkommen die Tatsache, daß
die Lichtempfindlichkeit einer chemisch präparierten Fläche (Glas, Metall, Papier,
Zelluloid usw.) eines der Grundelemente des fotografischen Verfahrens ist, und
ordnete diese Fläche immer nur einer den perspektivischen Gesetzen gehorchenden
Camera obscura ein, zum Festhalten (Reproduzieren) einzelner Objekte, in ihrer
Eigenart das Licht zu reflektieren oder zu absorbieren. Und nicht einmal die
Möglichkeiten dieser Kombination wurden genügend bewußt ausgewertet.

Das Bewußtwerden dieser Möglichkeiten hätte nämlich dahin geführt, Existenzen,
die mit unserem optischen Instrument, dem Auge, nicht wahrnehmbar oder auf»
nehmbar sind, mit Hilfe des fotografischen Apparates sichtbar zu machen;
d. h. der fotografische Apparat kann unser optisches In»
strument, das Auge, vervollkommnen bzw. ergänzen. Dieses
Prinzip ist bei einigen wissenschaftlichen Versuchen, wie beim Studium von Be»
wegungen (Schritt, Sprung, Galopp) und zoologischen, botanischen und minerali»
sehen Formen (Vergrößerungen, mikroskopische Aufnahmen) und anderen natur»
wissenschaftlichen Untersuchungen schon angewandt worden; aber diese Ver»
suche blieben Einzelerscheinungen, deren Zusammenhänge nicht konstatiert wor»
den sind (S. 48 bis 54). Wir haben die Fähigkeiten des Apparates bisher nur
in sekundärem Sinne verwendet (S. 55 bis 59). Das zeigt sich auch bei den
sogenannten „fehlerhaften“ Fotoaufnahmen: Aufsicht, Untersicht, Schrägsicht,
die schon heute als Zufallsaufnahmen oft verblüffen. Das Geheimnis ihrer
Wirkung ist, daß der fotografische Apparat das rein optische Bild reproduziert
und so die optisch»wahren Verzeichnungen, Verzerrungen, Verkürzungen usw.
zeigt, während unser Auge die aufgenommenen optischen Erscheinungen mit
unserer intellektuellen Erfahrung durch assoziative Bindungen formal und räum»
lieh zu einem Vorsteliungsbild ergänzt. Daher besitzen wir in dem fotografischen
Apparat das verläßlichste Hilfsmittel zu Anfängen eines objektiven Sehens. Ein
jeder wird genötigt sein, das Optisch»wahre, das aus sich selbst Deutbare, Ob»
jektive zu sehen, bevor er überhaupt zu einer möglichen subjektiven Stellung»
nähme kommen kann. Damit wird die seit Jahrhunderten unüberwundene

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