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Mojzer, Miklós
Werke deutscher Künstler in Ungarn — Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Band 329: Baden-Baden: Heitz, 1962

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https://doi.org/10.11588/diglit.73091#0021
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Die ländliche Stilart ist in der ungarischen Baukunst die bezeichnendste, besonders in den
Zünften. Ländlichkeit heißt nicht immer etwas geradezu provinzielles, sondern eine be-
sondere künstlerische und historische Gebarung, welche wegen der Gegebenheiten des da-
maligen ständischen Ungarns in dieser Erscheinungsform nur hier auf ungarischem Boden in
seiner künstlerischen und individuellen Offenbarung aufzuweisen ist. Durch die Zünfte und
örtliche Auftraggeber verstärken sich die einheimischen Kunstfäden besser als die in die
Fremde führenden; auch sind ihre Ergebnisse untereinander verwandter als solche im Aus-
land. Das ungarische Barock entwickelt sich eigenartig lokal und sein ländliches Wesen
stellt im großen und ganzen das spezielle Kennzeichen eines Randgebietes dar: es folgt
ein bis zwei Jahrzehnte verspätet der ost- und mitteleuropäischen Entwicklung, kündigt
dabei aber auch seinen zeitlichen Abschluß an; geographisch bestimmt er für das große
europäische Barock das extreme Gebiet, denn weder nach Süden noch nach Osten hat es
sich weiter ausgedehnt. Wie auf allen Gebieten ist dieser Zeitraum von beispiellosem Elan
und einer Baulust gekennzeichnet, die auch durch den notwendigen Neuaufbau des zu einem
Drittel von den Türken zerstörten Landes erklärt ist und die sich dabei in diesem Gebiet (wo
die Pester Zunft eine führende Rolle spielte) als landschaftsgestaltend erwiesen hat.
Der in Salzburg geborene Andräs Mayerhoffer (geb. 1690, in Ungarn seit vor 1720) ist einer
der bezeichnendsten und hervorragendsten Meister aus diesem Kunstkreis. Vermutlich hat er
sich auf Hildebrandts Anregung hin hier niedergelassen und daher die Bauarbeiten in Räckeve
und in B61ye (?) beendigt. Auf Empfehlung des herrschaftlichen Güterverwalters Lipöt Kliegl
und von vier Zunftmeistern fand er Aufnahme in die Baumeisterzunft. Bald darauf erhält er
eine lange Reihe von Aufträgen: die Paulanerkirche in Pest, die Kathedrale in Kalocsa, die
Schlösser in Gäcs, Gödöllö, Pöcel, Nagytdtdny und die Palastbauten für Peterffy und für Gro-
ssalkovich sind als die besten in dieser Liste zu vermerken. In diesen Schöpfungen verkörpert
Mayerhoffer musterhaft jenen Typus ungarischer Barockschlösser, von denen man zahlreiche
Varianten in der Großebene und in Siebenbürgen wiederfinden kann. Solche heiter gestimmten,
breit ausladenden Schlösser mit den Ehrenhöfen bestimmen das Wesen der typisch ungarländischen
Barockkunst. Auch hat dieses wichtige Gebiet des Barocks hier in seinem Übergewicht ein
sozusagen flachländisches Gepräge. Es entwickeln sich den weit ausgedehnten Gegenden und
örtlichen Gegebenheiten angemessene Stilformen: ein nur sehr selten um ein Stockwerk er-
höhter Baukörper mit einem künstlerisch betonten, ruhig zerteilten Rhythmus. Statt des hin-
reißend Spielerischen und dramatisch Spannenden, das sich in jeder Phase des westlichen
und eben des österreichischen Barocks bemerkbar macht, findet sich hier eine bedeutungs-
vollere, gleichmäßig ruhige Stimmung, ein Streben nach summierend abgerundeter Über-
sichtlichkeit. Viele unserer Schlösser könnten mit Formulierungen wie "frappant anmutiges
Baudenkmal in reduzierten Stilformen", oder "volkstümliche Gestaltung der grand art des
Stils" beschrieben werden. Diese neue, aus der größen Strömung auftauchende Stilart konnte
nur von jener etwas entfernt entstehen, wo Normen und Gegebenheiten koordiniert sind, wo
der Erfolg nicht maniriert und ungleich, sondern einheitlich, sich selbst entsprechend erscheint.
Zwischen Anspruch und Verwirklichung liegt kein Widerspruch, und so vermag ein künstlerisch
einheitliches Bild zu entstehen. Die städtischen Baumeister sind sich ihrer Fähigkeiten bewußt
und mit ihren Idealen im reinen; mehr als das, was ihrem Können entspricht, unternehmen
sie niemals. Mayerhoffers Zeitgenossen empfinden selbst dieses Gefühl, und die bedeutenderen
unter ihnen führen diese Gleichgewicht haltende und irgendwie konvergierende Art weiter:
in Pest der Tiroler Mätyäs Drenker, György Jänos Paur aus Württemberg, der Pester Jözsef
Schelb, Sebestydn Schachinger aus Ardegger (OÖ); in Buda Kristof Hämon aus Pogratitz in
Böhmen, Märton Kalcher aus der Steiermark, Adam Mayerhoffer aus Watzendorf in Öster-
reich, Keresztely Obergruber aus Kärnten, Ignäc Paska aus Ungarisch-Brod in Mähren, Jänos
Mihäly Schaden aus Weitersfeld, Andräs Pfister aus Markt-Wiederfeld in Österreich, Märton
Sigl aus Neiße in Schlesien, Agoston Viola aus Troppau, Mätö Nepauer aus Wien, und Jänos
Henrik Jäger aus Mainz. In ihrer Manier mischen sie ziemlich verschiedene Stilrichtungen
zusammen; einheimisch zunftmäßige Formen des Barock und Rokoko bleiben bis in die sech-
 
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