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Mojzer, Miklós
Werke deutscher Künstler in Ungarn — Studien zur deutschen Kunstgeschichte, Band 329: Baden-Baden: Heitz, 1962

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https://doi.org/10.11588/diglit.73091#0035
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VII

Während deutsche und österreichische Architekten an den ungarischen Schloßbauten nur
verhältnismäßig geringen Anteil haben, ist ihre Mitwirkung bei den großen kirchlichen
Bauvorhaben zahlreicher. So wie es für den Klosterbau des österreichischen Barocks be-
zeichnend ist, daß fast sämtliche Klosterkomplexe in der ersten Hälfte des Jahrhunderts
entstanden sind, werden in Ungarn in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts besondere Ordens-
komplexe, große kirchliche Residenzen errichtet. Nur die Bischofssitze erwähnt, bekommen
unsere Städte - mit wenigen Ausnahmen - ein barockes Bild, in Kalocsa, Väc (Waitzen),
Eger (Erlau), Veszprdm, Esztergom (Gran, nur nach der Planung), Nagyvärad (Großwardein),
Györ (Raab) und Szombathely (Steinamanger), wo die Metropolitenbauten meist von Öster-
reichern unternommen wurden, und zwar in Waitzen von Pilgram und Canevale, in Gran
und Großwardein von Hillebrandt, in Raab und Steinamanger von Hefele. Durch diese Bau-
tätigkeit wird der letzte Abschnitt des österreichischen Spätbarocks mit dem ungarischen
Barock verbunden. Überdies verwirklichen einheimische Baumeister wie Mayerhoffer und
Oswald in Kalocsa, und Fellner in Erlau und Veszpröm Baukomplexe ähnlicher Auslegung
und Motivierung. Unter Metropolitenbauten verstehen wir große kirchliche Zentren, ge-
wöhnlich nach einem einheitlichen Plan oder zumindest nach einer Gesamtidee errichtet;
also kein einzeln stehendes Bauwerk, auch nicht der Aufbau einer Schloßanlage mit dazu-
gehörigen Häusern und Gärten und der in der Nähe errichteten Kathedrale, sondern das große
Zentrum einer Diözese mit Seminaren, Wohngebäuden für die Domherren, mit der Gutsver-
waltung, der Pfarrei, oft sogar noch mit Wohnhäusern für Pröpste und Musikanten, ferner
Altersheime, die sich regelmäßig einer solchen Zentralstelle anschließen.
In derartigen Komplexen lassen sich ungarische Bauherren wie die beiden Patachich, Barköczy,
Käroly Esterhazy und Koller ihre Residenzen errichten, nicht im westlichen Sinne des Wortes,
auch keine richtigen Städte oder Bruchstücke davon, aber doch ein Zentrum. Die ungarischen
kirchlichen Residenzen isolieren sich auffallend vom Stadtbild; - Kalocsa (auf mittelalter-
lichen Fundamenten), Großwardein und Waitzen (in der damaligen Placierung), Gran ist
geradezu am Stadtrand erbaut - spielen aber überall in der Stadtgestaltung eine dominierende
Rolle. Man könnte sogar mit Recht behaupten, daß sie ja auch nicht städtisch sind, sondern
aus lauter verstreuten, separaten Baumassen bestehen, die sich den benachbarten Objekten
nicht anpassen oder -kleben. Selbst in ihrem Äußeren haben und vermögen sie der Stadt
nichts zu sagen, im Verhältnis zu dieser sind sie viel zu umfangreich und geräumig*. Alle
diese Anlagen sind für die ganze Diözese errichtet; ihre hochragenden Türme winken und
rufen bis zu weit entfernten Grenzen, ihr ganzes Dasein gehört der weiten Umgebung, ja
sogar der Einheit des Geländes. Auffallend weit ist aer Turmabstand, also die Stirnwand
der Kathedralen in Großwardein, Waitzen und Gran (letztere nach der Planung), in Erlau
nach den Spuren von Fellners Entwürfen; eine Eigenart, die sich im ungarischen Klassizis-
mus legalisiert.
Neben den Kathedralen repräsentieren die bischöflichen Paläste im Prinzip und Typus den
Schloßbau; immer alleinstehend mit U-förmigem Grundriß und Ehrenhof, wo der Bischof
nicht nur als Verwalter seiner Diözese (und damit auch der Stadt), sondern auch als Gutsherr,
oft Obergespan, residiert; der als oberster und ausschließlicher Bauherr an seinem Standort
angesehen wird. Seine Bauten gelten nicht seiner Stadt, umsomehr aber der Umgebung und
seinem Landgut. Das bischöfliche Schloß ist in Ungarn viel eher ein feudales Zentrum als
in den westlichen Ländern; viel mehr dem Komitat und der Diözese zugedacht, und dabei
* Der Dom in Steinamanger wurde für 5000 Gläubige errichtet, wo zur gleichen Zeit die
Zahl der Stadtbewohner kaum die Hälfte betrug; dasselbe ganz ähnlich in Kalocsa oder
in Waitzen.
 
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