den unzähligen Bildern mythologischen, heiligen und profanen Inhalts aus allen
Galerien verglich, daß man sich wenig Gedanken darüber machte, wie alt denn der
Meister war, der sie schnitt. Da nun die frühesten aus dem Jahre 1505 waren, so
waren es eben Werke eines dreiunddreißigjährigen. In diesem Alter pflegte ein
damaliger Künstler seine Ausbildung längst hinter sich zu haben. Wo mag er nun
diese genossen haben? Diese Frage wagte man sich noch nicht zu stellen.
Die Cranach-Ausstellung in Dresden 1899 bot in ihrer Vielgestaltigkeit eine seltene
Übersicht seines ganzen Lebenswerkes und lenkte zunächst die Aufmerksamkeit
darauf. Indessen konnte das Problem seiner Jugendentwicklung, einmal gestellt,
nicht mehr verstummen, und schon die nächsten Jahre brachten in schneller Auf-
einanderfolge eine Reihe von Zuweisungen an den „jungen" Cranach, deren Resultat
bekanntlich eine Konstruierung der „Sturm- und Drang"-Periode des Künstlers ist1).
Es wird jetzt ziemlich allgemein angenommen, daß der junge Brausekopf durch die
Anstellung am Wittenberger Hof (1504), oder zumindest gleichzeitig damit, sich
plötzlich beruhigt und gezähmt hat, so daß schon in den nächsten Jahren kaum
mehr etwas von dem wilden Leben seiner „Jugend" geblieben ist, von dem späteren,
vielgelästerten Alter, nicht zu reden. Es fragt sich nun, ob diese Interpretation
dem zweifellos zuverlässigen Tatsachenmaterial nicht etwa doch Gewalt antut?
Daß Cranach seine Ausbildung zum großen Teil der bayrischen Schule verdankt,
scheint ja außer Zweifel zu stehen. Dörnhöffer verweist wohl richtig auf die un-
gezählten Anonymen in bayrischen Galerien, die oft wie Vettern des Schleißheimer
Cruzifixus anmuten. Das Expressive dieser Frühbilder ist es aber wohl, das bei
ihnen an Grünewald immer wieder denken läßt. Es ist bezeichnend, wie oft dieser
Name in dem Zusammenhang genannt wurde. Sowohl beim Schleißheimer Bild,
als auch beim h. Valentin der Wiener Akademie. Als Grünewald gingen auch
die beiden „Schächer" der Lanna-Sammlung, die das Berliner Kupferstich-Kabinett
kürzlich erworben hat (Abb. 1 und 2). Diese letzteren gehen sogar weit über die
Verrenkungen der frühen Holzschnitt-Kreuzigungen (Pass IV, 1 u. 2) hinaus. Schon die
Idee, die Arme sowohl wie die Beine das Kreuz krampfhaft umklammern zu lassen,
ist überraschend genug, um den Zusammenhang Cranachs mit Grünewald ein-
leuchtender zu machen2). Und wenn den Frühbildern die Lebhaftigkeit der Farbe
nachgerühmt wird, so ist damit wieder ein Faden gegeben, der zum Colmarer führt.
Auch die Beziehungen zum Donaustil können schlechterdings nicht angezweifelt
werden, ob man sie nun als passiva oder activa dem Franken anrechnet. (Vgl.
Voß, Ursprung des Donaustils, II. Teil). Die Vorliebe für landschaftliche Hinter-
gründe, mit ausgesprochener Bevorzugung von Nadelbäumen, spricht sich in allen
Jugendwerken Cranachs so deutlich aus, daß man an einen Schulzusammenhang
zu denken oft versucht wäre. Indessen, bei näherer Betrachtung kompliziert sich
das Problem. Zunächst ist es auffallend, daß er sich schon ganz früh ein eigen-
artiges Laubschema zurechtlegt, daß er konsequent in Holzschnitten sowohl, wie
in Gemälden anwendet (und dem er übrigens sein Leben lang treu bleibt). Nicht nur
die Berliner „Ruhe auf der Flucht" von 1504 zeigt es schon in voller Ausbildung;
bei der Kreuzigung des Schottenstiftes, die von Dörnhöffer wohl richtig als das
(1) Die Zusammenstellung der diesbezüglichen Forschungen ist leicht zu haben an der Hand des
Artikels von Dörnhöffer im „Jahrbuch der k. k. Zentralkommission" 1904. Zuletzt hat Friedländer in
einem Vortrag in der Kunstgeschichtlichen Gesellschaft (Dez. 1910) eine knappe Zusammenfassung
der Endergebnisse gegeben. Ihm ist auch die Veranstaltung einer Ausstellung des graphischen Oeuvre
Cranachs nach chronologischem Prinzip im Berliner Kupferstich-Kabinett zu verdanken.
(2) Friedländer war der erste, der — in der Besprechung von Voss' „Ursprung des Donaustils" — Rep.
f. Kw. 1909 bei den Zeichnungen Cranachs Namen nannte.
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Galerien verglich, daß man sich wenig Gedanken darüber machte, wie alt denn der
Meister war, der sie schnitt. Da nun die frühesten aus dem Jahre 1505 waren, so
waren es eben Werke eines dreiunddreißigjährigen. In diesem Alter pflegte ein
damaliger Künstler seine Ausbildung längst hinter sich zu haben. Wo mag er nun
diese genossen haben? Diese Frage wagte man sich noch nicht zu stellen.
Die Cranach-Ausstellung in Dresden 1899 bot in ihrer Vielgestaltigkeit eine seltene
Übersicht seines ganzen Lebenswerkes und lenkte zunächst die Aufmerksamkeit
darauf. Indessen konnte das Problem seiner Jugendentwicklung, einmal gestellt,
nicht mehr verstummen, und schon die nächsten Jahre brachten in schneller Auf-
einanderfolge eine Reihe von Zuweisungen an den „jungen" Cranach, deren Resultat
bekanntlich eine Konstruierung der „Sturm- und Drang"-Periode des Künstlers ist1).
Es wird jetzt ziemlich allgemein angenommen, daß der junge Brausekopf durch die
Anstellung am Wittenberger Hof (1504), oder zumindest gleichzeitig damit, sich
plötzlich beruhigt und gezähmt hat, so daß schon in den nächsten Jahren kaum
mehr etwas von dem wilden Leben seiner „Jugend" geblieben ist, von dem späteren,
vielgelästerten Alter, nicht zu reden. Es fragt sich nun, ob diese Interpretation
dem zweifellos zuverlässigen Tatsachenmaterial nicht etwa doch Gewalt antut?
Daß Cranach seine Ausbildung zum großen Teil der bayrischen Schule verdankt,
scheint ja außer Zweifel zu stehen. Dörnhöffer verweist wohl richtig auf die un-
gezählten Anonymen in bayrischen Galerien, die oft wie Vettern des Schleißheimer
Cruzifixus anmuten. Das Expressive dieser Frühbilder ist es aber wohl, das bei
ihnen an Grünewald immer wieder denken läßt. Es ist bezeichnend, wie oft dieser
Name in dem Zusammenhang genannt wurde. Sowohl beim Schleißheimer Bild,
als auch beim h. Valentin der Wiener Akademie. Als Grünewald gingen auch
die beiden „Schächer" der Lanna-Sammlung, die das Berliner Kupferstich-Kabinett
kürzlich erworben hat (Abb. 1 und 2). Diese letzteren gehen sogar weit über die
Verrenkungen der frühen Holzschnitt-Kreuzigungen (Pass IV, 1 u. 2) hinaus. Schon die
Idee, die Arme sowohl wie die Beine das Kreuz krampfhaft umklammern zu lassen,
ist überraschend genug, um den Zusammenhang Cranachs mit Grünewald ein-
leuchtender zu machen2). Und wenn den Frühbildern die Lebhaftigkeit der Farbe
nachgerühmt wird, so ist damit wieder ein Faden gegeben, der zum Colmarer führt.
Auch die Beziehungen zum Donaustil können schlechterdings nicht angezweifelt
werden, ob man sie nun als passiva oder activa dem Franken anrechnet. (Vgl.
Voß, Ursprung des Donaustils, II. Teil). Die Vorliebe für landschaftliche Hinter-
gründe, mit ausgesprochener Bevorzugung von Nadelbäumen, spricht sich in allen
Jugendwerken Cranachs so deutlich aus, daß man an einen Schulzusammenhang
zu denken oft versucht wäre. Indessen, bei näherer Betrachtung kompliziert sich
das Problem. Zunächst ist es auffallend, daß er sich schon ganz früh ein eigen-
artiges Laubschema zurechtlegt, daß er konsequent in Holzschnitten sowohl, wie
in Gemälden anwendet (und dem er übrigens sein Leben lang treu bleibt). Nicht nur
die Berliner „Ruhe auf der Flucht" von 1504 zeigt es schon in voller Ausbildung;
bei der Kreuzigung des Schottenstiftes, die von Dörnhöffer wohl richtig als das
(1) Die Zusammenstellung der diesbezüglichen Forschungen ist leicht zu haben an der Hand des
Artikels von Dörnhöffer im „Jahrbuch der k. k. Zentralkommission" 1904. Zuletzt hat Friedländer in
einem Vortrag in der Kunstgeschichtlichen Gesellschaft (Dez. 1910) eine knappe Zusammenfassung
der Endergebnisse gegeben. Ihm ist auch die Veranstaltung einer Ausstellung des graphischen Oeuvre
Cranachs nach chronologischem Prinzip im Berliner Kupferstich-Kabinett zu verdanken.
(2) Friedländer war der erste, der — in der Besprechung von Voss' „Ursprung des Donaustils" — Rep.
f. Kw. 1909 bei den Zeichnungen Cranachs Namen nannte.
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