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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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früheste bekannte Werk Cranachs angesehen wird, läßt sich das auch schon ganz
klar feststellen. Dann aber kann man nicht gut übersehen, wie lange Cranach
dieser Passion treu bleibt. Nach Jahren kommt sie wieder, nicht nur in der
nächsten Zeit nach der Anstellung bei Hofe, wo sie wie eine unterirdische Strömung
oft plötzlich hervorbricht (ich denke an Holzschnitte, wie „Hieronymus in der Land-
schaft", Kupferstiche wie „Buße des h. Chrysostomus"), sondern gerade in späteren
Jahren und Jahrzehnten, bei den Marien von Glogau, Breslau, Weimar. Man hat
geradezu den Eindruck, als ob er diese landschaftliche Schönheit immer bereit-
hielte, wenn es einen besonderen Schmuck galt. Denn für einfachere Anlässe
hatte er die einfache, Dürersche Landschaft, mit Dürerschem Baumschlag, mit echt
Dürerschen Baumskeletten und Baumriesen. Oder woher sonst hatte er die
Hintergründe seiner frühen Holzschnitte? Wie ließe es sich sonst erklären, daß etma
die „Verehrung des Herzens Jesu" so mager und kahl ist, kaum zwei Jahre nach der
Schleißheimer Kreuzigung?! Er dachte offenbar in bezug auf die Landschaft: man
könnte davon halten, wie man wolle. Nur so läßt es sich erklären, wenn in der
Folge der „Leiden Christi", deren ein Blatt, die hier reproduzierte „Gefangennehmung"
(Abb. 3), das Datum 1509 trägt, regelmäßig Dürersche Bergabhänge angebracht
werden, die jenen etwa aus der „großen Passion" täuschend ähnlich sehen.
Und wenn von Dürerschem Einfluß gesprochen wird, da braucht es wohl keiner
Beweise dafür, wie stark Cranach von seinem berühmten Landsmann abhängig ist.
Er folgt ihm in Komposition und in Einzelheiten, in Schraffierung und Charakte-
ristik — allerdings so geschickt und eigen, daß man ihm richtiges Kopieren
eigentlich nie nachweisen kann, Ja, er bringt durch eine eigenartig zittrige, krause
Linienführung jede Form sozusagen aus den Fugen, so, daß die ursprüngliche
Dürersche Disziplin der Formbehandlung sich restlos verflüchtigt. Kommt hinzu,
daß er diese Bilder mit seinen Kuriositäten durchsetzt, Menschenmengen mit skur-
rilen Käuzen ausstattet, die die letzten Nachkommen jener verdächtigen Wegelagerer-
typen sind, an denen er in seinen Frühbildern Gefallen fand. Die „Marter der h. Bar-
bara", die Flechsig wohl richtig mit 1509 ansetzt, und die durch Typen, Mono-
gramm und Format mit der erwähnten Passionsfolge zusammengeht (Abb. 4)1), ist
ein gutes Beispiel dieser Verquickung verschiedener Elemente zu einem Ganzen,
das echt Cranachsches Gepräge trägt. Dem Bergabhang merkt man kaum noch
den Dürerschen Ursprung an, weil er mit dem Cranachschen Laubschema modelliert
ist; und den Gesichtern nahmen die knolligen Falten und breitgezogenen Mäuler
jede Spur fränkischer Herkunft. So entstand die sächsische Schule.
Denn es läßt sich ja nicht leugnen, daß mit der ominösen Anstellung durch
Friedrich den Weisen eine Ernüchterung den Künstler erfaßte und seinen Werken
ihren Stempel aufdrückte. Schon die Gegenstände, die er hier zu malen und in
Holz zu schneiden bekam, mußten diese Wirkung üben; aber auch das Publikum,
für das sie bestimmt waren, kühlte die Werke rückwirkend ab. Und die Ver-
leihung des Wappenbriefes im Jahre 1508 konnte nicht anders, als diese Steifheit
noch um einen Grad steigern, wenn sie auch in der nächsten Zeit seine Popularität
hob und selbstverständlich auch die Bestellungen ins Maßlose häufte. Wenn das
Kanonbild aus dem Missale Pragense (Nürnberg, Stuchs 1508) [Abb. 5] wirklich
aus diesem Jahr ist und somit als erstes Blatt mit dem Schlangenzeichen anzu-
sehen ist, wie ich es im Rep. f. Kw. 1908 behauptet habe2), so zeigt es schlagend,

(1) Dieses und das vorhergenannte Blatt bei Lippmann nicht reproduziert, nur erwähnt. —

(2) C. Dodgson hat im großen ganzen meiner Behauptung — trotz der Bedenken — zugestimmt (Rep.

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