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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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wie wandlungsfähig dieser Cranach war. Diese Kreuzigung ist schon so zahm in
allen Details, so kahl und herzlos, daß, wenn sie Jahrzehnte von der Passavant-
schen trennen würden, dies kaum zu erklären wäre. Und wenn das Datum richtig
ist, und man bedenkt, daß „Das Urteil des Paris", der einzige Holzschnitt dieses
selben Jahres 1508, eine Fülle von Leben und natürlicher Schönheit aufweist, so
hat man für diese Diskrepanz eine Erklärung nur in dem schier unheimlichen An-
passungsvermögen des Künstlers. Dann wird man auch verstehen, wie er Kreuzi-
gungen zu Hunderten herstellen konnte, in die er nichts von seinem Inneren hin-
einlegte, außer paar kaum merklichen Verzerrungen, die in Gemälden sich auch
noch verflüchtigten und nur in Zeichnungen, wie etwa der hier angeführten des
Berliner Kupf. Kabinetts (Abb. 6) einen letzten Nachhall der Sturm- und Drang-
periode darstellen.
So kommen wir zu unserem Ausgangspunkt.
Gab es so etwas, wie „Sturm und Drang" im Leben Cranachs? Die einzigen
Bilder und Blätter, in denen dies festgestellt werden sollte, sind Werke eines
Dreißigers, bestenfalls eines, der nahe daran ist. Was wir unter jenem, der
Romantik entlehnten Terminus verstehen, ist aber durchaus keine vorübergehende
„Kinderkrankheit", sondern eine Epoche des Lebens, die tief darin Wurzeln schlägt
und den Menschen umwühlt. Der Dürer der „Apokalypse" ist noch in den „Vier
Aposteln" ganz deutlich zu spüren. Was wir dagegen hier sehen, das ist eben
eine ungewöhnliche Begabung, die auf die Strömungen ihrer Zeit ungemein genau
und präzise reagiert. Jene Grünewaldische Expression, sie lag in der Zeit, ebenso
die schwärmerische Hingabe an die Landschaft und ebenso drang Dürersche
Formenwelt gerade damals in die allgemeine Anschauung. —
Entkleidet man den Cranach so aller fremden Zutaten, was bleibt denn da noch
von ihm übrig? Es bleibt viel. Will man den Künstler Cranach richtig ein-
schätzen, den festen, unveränderlichen Kern seines Schaffens bloßlegen, dann wird
man sich an solche Dinge halten müssen, wie etwa jene unzähligen Putten, die
die h. Familien umtoben, auf Bäume hochklettern, und sich um Sockel von Reli-
quiaren im Wittenberger Heiltumsbuch (1509) herumtummeln. Man wird Cranach
bei den Fruchtgehängen seiner Passion aufsuchen müssen, und bei den frucht-
beladenen Baumumrahmungen seiner Apostelfolge1). Und im zweiten Jahrzehnt
wird man ihn etwa bei den vielen Tieren der Randzeichnungen zum Gebetbuch
Kaiser Maximilians finden, und so immer wieder, dann in der Reformationszeit
in den Titeleinfassungen der Lutherschen Bücher, wie etwa jene köstliche mit dem
Zeichen Johann Grünenbergs2) wo der Mann mit den Bienen, der Jäger, die ulkigen
Tiere den ganzen Cranach widerspiegeln.
Und da wird man sich vielleicht sagen, daß das keine überragende Künstler-
natur war, keine vom Schlage der Großen, die ihre Ziele hartnäckig und rück-
haltlos verfolgte, aber, alles in allem, ein begabter, leistungsfähiger Mensch, der
vieles in sich aufzunehmen vermochte, ohne deshalb in Sklaverei zu geraten, wie
geschaffen, dem Bürger des angehenden neuen Zeitalters die Kunst mit Maß und
Geschick zu vermitteln. Dann wird aber die Erzählung von der wilden Gärung
seiner Jugendjahre ein anderes Gesicht bekommen.
f. Kw. 1908), und mich noch nachträglich auf das Vorkommen des Blattes in späteren Wittenberger
Drucken aufmerksam gemacht. Tatsächlich wurde es noch oft in späteren Jahrzehnten gebraucht.
(1) Die wohl früher anzusetzen ist, als der Christus des Titelblattes, etwa 1510.
(2) Z. B. im M. Luthers „Sermon wider den Mamon" Wittenberg 1522. — Repr. bei Lippmann.

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