Der sterbende Heilige wird von zwei Priestern gestützt. Ringsum und weit
sich ins Bild hinein verlierend erblickt man eine große Versammlung von Priestern,
Patriziern, Gelehrten und Knaben mit Blumen. Alle sind von tiefer Bewegung
ergriffen. Besonders innig ist die Gestalt des in weiß gekleideten Geistlichen, der
die Hände vor seine Augen hält.
Der Fortschritt gegenüber dem „Pfingstfest" ist unverkennbar. Die Tiefenwirkung
ist noch müheloser erzielt, vor allem ist der Himmel mit seinen Gestalten noch
glaubhafter und visionärer zugleich gestaltet. Die Schönheit des Helldunkels ist
zum mindesten die gleiche. Die Gesamtstimmung ist natürlich hier weniger
pathetisch, grandios, als lyrisch, innig. Was dem Werk seine hohe Einschätzung
verschafft hat, ist die Tatsache, daß es nicht nur die große Kompositionskunst des
Meisters, sein außerordentliches Anpassungsvermögen und hohes malerisches Talent
in vollem Lichte zeigt, sondern auch offenbart, daß Ruelas die seltene Gabe ver-
liehen war, durch tiefes Gefühl, durch Abstreifung alles Unnötigen und durch die
Wahrung hoher Würde das Gemeine wirklich zu adeln. Trotz des großen Per-
sonenaufgebotes wirkt das Ganze schlicht und tief ergreifend. So sagt auch Ber-
mudez: „Es übertrifft alle anderen Werke des Ruelas, das Kolorit trägt in der Wahl
des Tones in hohem Maß zur Würdigkeit der Darstellung bei, und nichts findet
man in dem Gemälde, was nicht mit Majestät, Einfachheit und Wahrheit erfüllt
wäre." In ähnlicher Weise rühmt Justi den Adel der Auffassung: „Die Erzählung
ist realistisch, doch hat er in dem sterbenden Greise die unendliche vergeistigende
Arbeit eines langen Lebens von Taten und Gedanken ahnen lassen, während Do-
menichino z. B. in seinem Hieronymus nur den physischen Verfall malte."
Murillo hat wenige Werke seines älteren Sevillaner Kollegen wohl so eingehend
studiert wie dieses. Er entnahm ihm nicht nur, wie man musizierende Engel zu
verkörpern hat, sondern er lernte aus der Darstellung der irdischen Gruppe
erkennen, wie man durch die Nüancierung eines schlichten Tones, modern aus-
gedrückt durch die Valeurmalerei, wirken kann, und nicht zuletzt fand er in Ruelas
einen Mann, der mit frommem Gemüt einen erhabenen Vorgang tief innerlich zu
gestalten vermochte, ohne im geringsten weichlich zu werden. Diese Klippe hat
freilich Murillo nicht immer so glücklich umschifft. —
Einigermaßen im Gegensatz zu dem Santiago, der Befreiung Petri, dem Pfingst-
fest und dem Heimgang des hl. Isidor hat Ruelas bei der Andreasmarter nicht das
Hauptgewicht auf die Helldunkelwirkung gelegt, sondern ist bestrebt, das Ganze in
hellerem, etwas kühlerem Ton zu halten. Die gleiche Tendenz können wir noch
bei verschiedenen anderen Werken des Meisters beobachten. Mit das früheste ist
vielleicht das Gemälde im Sevillaner Museum, das die „hl. Anna, die jugendliche
Maria unterrichtend", darstellt. Das Bild befand sich früher in der Merced Calzada
bei der Seitentür der Kirche.
Anna in rotem Kleid, weißgrauem Schleier, maisgelbem, blaugefüttertem Mantel,
braunhaarig, eine angehende Vierzigerin, sitzt in einem braunem, rotgepolstertem
Lehnstuhl. Maria ist ungefähr 12 Jahre alt, trägt über rotem Kleid einen blauen,
goldgestickten und mit Perlen übersäten Mantel und im lichtgoldbraunen, offenen
Haar ein goldenes Krönlein sowie Rosen und Nelken. Sie ist mit kostbarstem
Schmuck behängt. Man bemerkt ein Kollier aus Juwelen, Edelsteine auch am Ab-
schluß des Kleides, das den Hals freiläßt; um beide Arme schlingen sich reich-
verzierte Armbänder, und viele Ringe schmücken die kleinen Hände (Zeige-, Ring-
und kleiner Finger).
Die hl. Jungfrau kniet vor der niederblickenden Mutter und lernt aus einem
63
sich ins Bild hinein verlierend erblickt man eine große Versammlung von Priestern,
Patriziern, Gelehrten und Knaben mit Blumen. Alle sind von tiefer Bewegung
ergriffen. Besonders innig ist die Gestalt des in weiß gekleideten Geistlichen, der
die Hände vor seine Augen hält.
Der Fortschritt gegenüber dem „Pfingstfest" ist unverkennbar. Die Tiefenwirkung
ist noch müheloser erzielt, vor allem ist der Himmel mit seinen Gestalten noch
glaubhafter und visionärer zugleich gestaltet. Die Schönheit des Helldunkels ist
zum mindesten die gleiche. Die Gesamtstimmung ist natürlich hier weniger
pathetisch, grandios, als lyrisch, innig. Was dem Werk seine hohe Einschätzung
verschafft hat, ist die Tatsache, daß es nicht nur die große Kompositionskunst des
Meisters, sein außerordentliches Anpassungsvermögen und hohes malerisches Talent
in vollem Lichte zeigt, sondern auch offenbart, daß Ruelas die seltene Gabe ver-
liehen war, durch tiefes Gefühl, durch Abstreifung alles Unnötigen und durch die
Wahrung hoher Würde das Gemeine wirklich zu adeln. Trotz des großen Per-
sonenaufgebotes wirkt das Ganze schlicht und tief ergreifend. So sagt auch Ber-
mudez: „Es übertrifft alle anderen Werke des Ruelas, das Kolorit trägt in der Wahl
des Tones in hohem Maß zur Würdigkeit der Darstellung bei, und nichts findet
man in dem Gemälde, was nicht mit Majestät, Einfachheit und Wahrheit erfüllt
wäre." In ähnlicher Weise rühmt Justi den Adel der Auffassung: „Die Erzählung
ist realistisch, doch hat er in dem sterbenden Greise die unendliche vergeistigende
Arbeit eines langen Lebens von Taten und Gedanken ahnen lassen, während Do-
menichino z. B. in seinem Hieronymus nur den physischen Verfall malte."
Murillo hat wenige Werke seines älteren Sevillaner Kollegen wohl so eingehend
studiert wie dieses. Er entnahm ihm nicht nur, wie man musizierende Engel zu
verkörpern hat, sondern er lernte aus der Darstellung der irdischen Gruppe
erkennen, wie man durch die Nüancierung eines schlichten Tones, modern aus-
gedrückt durch die Valeurmalerei, wirken kann, und nicht zuletzt fand er in Ruelas
einen Mann, der mit frommem Gemüt einen erhabenen Vorgang tief innerlich zu
gestalten vermochte, ohne im geringsten weichlich zu werden. Diese Klippe hat
freilich Murillo nicht immer so glücklich umschifft. —
Einigermaßen im Gegensatz zu dem Santiago, der Befreiung Petri, dem Pfingst-
fest und dem Heimgang des hl. Isidor hat Ruelas bei der Andreasmarter nicht das
Hauptgewicht auf die Helldunkelwirkung gelegt, sondern ist bestrebt, das Ganze in
hellerem, etwas kühlerem Ton zu halten. Die gleiche Tendenz können wir noch
bei verschiedenen anderen Werken des Meisters beobachten. Mit das früheste ist
vielleicht das Gemälde im Sevillaner Museum, das die „hl. Anna, die jugendliche
Maria unterrichtend", darstellt. Das Bild befand sich früher in der Merced Calzada
bei der Seitentür der Kirche.
Anna in rotem Kleid, weißgrauem Schleier, maisgelbem, blaugefüttertem Mantel,
braunhaarig, eine angehende Vierzigerin, sitzt in einem braunem, rotgepolstertem
Lehnstuhl. Maria ist ungefähr 12 Jahre alt, trägt über rotem Kleid einen blauen,
goldgestickten und mit Perlen übersäten Mantel und im lichtgoldbraunen, offenen
Haar ein goldenes Krönlein sowie Rosen und Nelken. Sie ist mit kostbarstem
Schmuck behängt. Man bemerkt ein Kollier aus Juwelen, Edelsteine auch am Ab-
schluß des Kleides, das den Hals freiläßt; um beide Arme schlingen sich reich-
verzierte Armbänder, und viele Ringe schmücken die kleinen Hände (Zeige-, Ring-
und kleiner Finger).
Die hl. Jungfrau kniet vor der niederblickenden Mutter und lernt aus einem
63