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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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selber, der in rotem hemdartigen nur eben noch die Knie bedeckenden Rock einher-
schreitet und wuchtig auftritt. Große Füße haben auch die Krieger, deren einer in
voller Stahlausrüstung ein gekrümmtes Horn an den Mund setzt, während der
andre uns seinen breiten Rücken zudreht, im Begriff das Opfer mit Hieben anzu-
treiben. Dann folgt sofort Maria mit den Frauen und links hinten das Tor der
Stadt, deren Mauern und Türme das Bogenfeld erfüllen. Auf dem Kalvarienberg
sind die Kreuze so gestellt, daß das größere in der Mitte zwischen den beiden
andern mit der Front nach rechts gedreht ist, während jene im rechten Winkel
dazu, also in starker Verkürzung erscheinen. So blickt der Erlöser gerade auf die
Mutter, die von Frauen gestützt zusammensinkt, und der händeringende Johannes
steht als Vermittler dabei. Die linke Ecke ist den würfelnden Soldaten eingeräumt
und dem Krieger auf weißem Roß, der soeben mit langer Lanze die Seite des
Gekreuzigten durchsticht. Kein wildes Gedränge, kein Volksgetümmel, wie auf den
Kreuzigungen am Ende des Trecento, seit Spinello Aretino etwa und bei den
Umbrern, Lorenzo und Jacopo da Sanseverino, — sondern wohlberechnete Verein-
fachung und perspektivisch durchgearbeitete Komposition; das ist wieder ein Kenn-
zeichen der ernsten Richtung auf Wahrheit und Entschiedenheit, der dieser Nicolas
Florentino angehört. Das besagen auch Beweinung und Grabtragung am Ende.
Starr ausgestreckt liegt der Leichnam nach der Abnahme vom Kreuz auf den
Knien der Mutter, die sich heftig über ihn beugt. Zu Häupten steht Johannes, den
einen Fuß erfaßt Magdalena, während der andere vorn herunterhängt gleich dem
freien Arm. Nikodemus küßt die andre Hand und über Maria neigt sich noch eine
der Frauen, neben Petrus, der allein in ernster Fassung niederschaut. Der körper-
liche Vorgang des Transportes ist bei der Grabtragung für ihn die Hauptsache.
Auf den Schultern wird die Last geschleppt; nur Johannes umspannt mit kräftigem
Arm den Brustkasten; selbst Maria hilft mit, unter der Achsel stützend, so daß
das Antlitz des Toten neben dem ihrigen liegt; Magdalena hält hinter ihr schreitend
die Hand des herabhangenden Armes. Unter freiem Himmel steht ein Sarkophag,
von dem der Deckel abgeschoben wird. Klageweiber mit erhobenen Armen gehen
dem Zuge nach rechts hin voran und folgen ihm hinten. Ein gelber Hügel mit
den Kreuzen ist links sichtbar und droben die Stadt Jerusalem.
Die dritte Reihe führt uns von der Heilung des Gichtbrüchigen bis zur Auf-
erweckung des Lazarus. Gerade in diesen Wundertaten stoßen wir auf Gegen-
stände, die in Florenz nicht mehr so eifrig bearbeitet wurden, und sofort begegnen
wir der Tatsache, daß der toskanische Maler, von dem man diese Dinge in Spanien
verlangt, etwas altertümlicher erscheint als sonst. Vor einer Loggia mit drei Arkaden,
unter der ein Kranker am Boden hockt, während ein andrer Mann das Bett auf
dem Rücken trägt, kommt Christus von links mit seinen Jüngern heran und weist
den Gichtbrüchigen an, aufzustehen und sein Bett selber zu tragen. Links oben
eröffnet sich ein Ausblick gegen eine Kirche zu. Ein Vergleich mit zeitgenössischen
Leistungen aus dem Umkreis, in dem wir uns bis dahin bewegten, drängt zu dem
ersten erhaltenen Wandgemälde der Brancaccikapelle mit der Erweckung Tabithas
hin. Aber dieser Vergleich ergibt eben, daß hier in Salamanca nur ein älteres
Vorbild verwertet sein kann, das noch der unmittelbar vorangehenden Phase, dem
Ausgang des Trecento oder dem ersten Jahrzehnt des XV. Jahrhunderts angehören
mag. Nicht viel besser steht es mit der Kleingläubigkeit des Petrus; aber die Er-
rettung aus dem Wasser, in das er versinken will, da der Herr ihn aus dem Schiffe
zu sich rief, ist doch greifbare Handlung und insofern im Vorteil gegen eine un-
darstellbare Verwandlung aus dem Liegen ins Stehen und Gehen. Es ist auch

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