MISZELLEN .
KUNSTSCHÄTZE IN SCHWEDEN.
Mit fünf Abbildungen auf zwei Tafeln.
„Inventaire General des Tresors d'Art en Suede"
ist der Titel der prächtigen, kürzlich erschienenen
Publikation Olaf Granbergs. Vor 25 Jahren ver-
öffentlichte Granberg den Catalogue raisonne des
tableaux anciens etc., ein Buch, das der Kunst-
geschichte eine Fülle neuen Materials brachte, und
das wir regelmäßig zur Hand nehmen, wenn wir
über Gemälde oder Sammlungen in Schweden Aus-
kunft brauchen. War das Buch von 1886 äußer-
lich noch ziemlich unscheinbar, so hat uns der
Verfasser dieses Jahr einen stattlichen Band mit
91 vorzüglichen Phototypien geschenkt. Diese,
wie auch die Beschreibungen von vielen bisher
noch nie besprochenen Kunstwerken bilden wieder,
wie seinerzeit der Catalogue raisonne, eine Fund-
grube interessanter Beiträge zur Kunstgeschichte,
besonders zu der niederländischen. Die Publi-
kation hat ungefähr den wissenschaftlichen Wert
einer gut organisierten Ausstellung von Kunst-
werken aus Privatbesitz, und wenn ich mir im
folgenden an der Hand der Abbildungen einige
Bemerkungen erlaube, möge man sie etwa einem
Ausstellungsbericht gleichstellen. Ich werde ver-
suchen, in alphabetischer Folge der Künstler-
namen auf das Anregende des neuen Materials
aufmerksam zu machen. —
Hendrik Aerts „Bankett in einem Palais";
voll bezeichnet und 1602 datiert. Sammlung P.
E. Wessberg, Stockholm (Abb. 1). Das Bild, das
inzwischen ins Ryksmuseum in Amsterdam ge-
kommen ist, beweist, daß H.Jantzen ,, dem 1909 noch
kein signiertes Bild dieses Meisters bekannt war, die
von J. Londerseel gestochene „Phantasiekirche"
(Abb. 2) richtig datierte, wenn er ihre Entstehung
in die ersten Jahre des XVII. Jahrhunderts verlegte.
Es ist interessant, zu beobachten, wie die Kom-
position des von Londerseel gestochenen Interieurs
genau der bei Granberg abgebildeten Außenarchi-
tektur entspricht: Vorn rechts die im Schatten
liegende Säule (resp. Pfeiler). Links daneben ein
freier Platz, der bei dem Interieur mit dem Tauf-
becken, bei dem Extrieuer mit einem Springbrunnen
geschmückt ist. Dem Lettner, unter dem man auf
das Längsschiff der Kirche schaut, entspricht der
linke Teil der Palastarchitektur, unter deren weitem
Bogen man in einen langen, gewölbten Gang2)
(1) Jantzen, Das Niederländische Architekturbild; Leipzig
1910, S. 53.
(2) Hier zeigt sich die „Tunnelperspektive", von der
jantzen im Kapitel „Hans Vredman de Vries" S. 22 spricht.
blickt. Rechts im Mittelgrund auf beiden Dar-
stellungen phantastische Architekturteile und viele
scheinbar zufällige Überschneidungen. Diesen bei-
den Kompositionen gegenüber erscheint das zweite
von Granberg beschriebene, voll bezeichnete Ge-
mälde von Hendr. Aerts, das sich seit kurzem im
Besitz von Dr. Hofstede de Groot im Haag befindet
und auch eine Außenarchitektur mit einer Be-
gräbnisprozession und im Vordergrund den Tod
mit einem Invaliden in einer Halle darstellt, recht
fortschrittlich. Und doch ist es, wie das vorige
Bild 1602 datiert. Der moderne Eindruck be-
ruht darauf, daß die Architektur weniger phan-
tastisch, sondern mehr portraitmäßig als auf den
beiden andern Stücken gegeben ist. — Govert
Dircksz. Camphuysen ging bekanntlich 1652
nach Schweden und war dort 11 Jahre lang
tätig. Daher hatte Granberg eine reiche Aus-
beute: 12 voll bezeichnete Werke dieses so
originellen Meisters sind beschrieben. Von den
abgebildeten ist wohl „La laitiere" (Sammlung
H. Ramel, Övedskloster) das wichtigste. In der
Zeichnung der Personen und des Viehs, ferner
im Verhältnis der Figuren und der Tiere zur
Landschaft ist das Bild dem großen Camphuysen
zugeschriebenen Stück in Cassel1) ganz nah ver-
wandt. Es allein würde genügen, das Casseler
Bild, das man immer wieder dem Potter geben
wollte, als Werk des Camphuysen zu beweisen.
Auch die großen Dimensionen kommen dem
Casseler Bild so nahe, das man es fast als Pen-
dant dazu auffassen möchte2). Was uns an dem
Werk am meisten interessiert, ist die echt rusti-
kane Stimmung, der „ländliche Geruch", den die
Darstellung ausströmt. Camphuysen erinnert
hierin stark an den Flamen Siberechts. Die
beiden andern Reproduktionen nach G. Camp-
huysen, die „wilden Gänse" (Slg. Schlesinger,
Stockholm), deren Komposition etwa dem Stil
eines J. Spruyt entspricht, und die „Szene in
einem Wirtshaus" (Slg. v. Düben, Södra Lindved),
bei der die für Camphuysen typische Vorliebe für die
Da eine Tätigkeit dieses Meisters in Holland nachgewiesen
ist, so lassen sich künstlerische Beziehungen zu Hendr.
Aerts leicht erklären. Daß solche Beziehungen bestehen,
beweist ein Vergleich des hier abgebildeten „Palais" Hendr.
Aerts mit dem „Schloßhof" des H. Vredemann de Vries
(im Wiener Hofmuseum, Abb. 5 bei Jantzen).
(x) Katalog 1888, Nr. 343.
(2) Es liegt nicht fern, anzunehmen, daß diese groß-
figurigen Stücke durch den „Jungen Stier" Potters (Haag,
Mauritshuis) angeregt worden sind. Auch für die Ent-
stehung von Berchems „Hirtenfamilie" (Mauritshuis), die
ein Jahr nach dem „Jungen Stier" gemalt wurde, könnte
Potters großfiguriges Bild von Einfluss gewesen sein.
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KUNSTSCHÄTZE IN SCHWEDEN.
Mit fünf Abbildungen auf zwei Tafeln.
„Inventaire General des Tresors d'Art en Suede"
ist der Titel der prächtigen, kürzlich erschienenen
Publikation Olaf Granbergs. Vor 25 Jahren ver-
öffentlichte Granberg den Catalogue raisonne des
tableaux anciens etc., ein Buch, das der Kunst-
geschichte eine Fülle neuen Materials brachte, und
das wir regelmäßig zur Hand nehmen, wenn wir
über Gemälde oder Sammlungen in Schweden Aus-
kunft brauchen. War das Buch von 1886 äußer-
lich noch ziemlich unscheinbar, so hat uns der
Verfasser dieses Jahr einen stattlichen Band mit
91 vorzüglichen Phototypien geschenkt. Diese,
wie auch die Beschreibungen von vielen bisher
noch nie besprochenen Kunstwerken bilden wieder,
wie seinerzeit der Catalogue raisonne, eine Fund-
grube interessanter Beiträge zur Kunstgeschichte,
besonders zu der niederländischen. Die Publi-
kation hat ungefähr den wissenschaftlichen Wert
einer gut organisierten Ausstellung von Kunst-
werken aus Privatbesitz, und wenn ich mir im
folgenden an der Hand der Abbildungen einige
Bemerkungen erlaube, möge man sie etwa einem
Ausstellungsbericht gleichstellen. Ich werde ver-
suchen, in alphabetischer Folge der Künstler-
namen auf das Anregende des neuen Materials
aufmerksam zu machen. —
Hendrik Aerts „Bankett in einem Palais";
voll bezeichnet und 1602 datiert. Sammlung P.
E. Wessberg, Stockholm (Abb. 1). Das Bild, das
inzwischen ins Ryksmuseum in Amsterdam ge-
kommen ist, beweist, daß H.Jantzen ,, dem 1909 noch
kein signiertes Bild dieses Meisters bekannt war, die
von J. Londerseel gestochene „Phantasiekirche"
(Abb. 2) richtig datierte, wenn er ihre Entstehung
in die ersten Jahre des XVII. Jahrhunderts verlegte.
Es ist interessant, zu beobachten, wie die Kom-
position des von Londerseel gestochenen Interieurs
genau der bei Granberg abgebildeten Außenarchi-
tektur entspricht: Vorn rechts die im Schatten
liegende Säule (resp. Pfeiler). Links daneben ein
freier Platz, der bei dem Interieur mit dem Tauf-
becken, bei dem Extrieuer mit einem Springbrunnen
geschmückt ist. Dem Lettner, unter dem man auf
das Längsschiff der Kirche schaut, entspricht der
linke Teil der Palastarchitektur, unter deren weitem
Bogen man in einen langen, gewölbten Gang2)
(1) Jantzen, Das Niederländische Architekturbild; Leipzig
1910, S. 53.
(2) Hier zeigt sich die „Tunnelperspektive", von der
jantzen im Kapitel „Hans Vredman de Vries" S. 22 spricht.
blickt. Rechts im Mittelgrund auf beiden Dar-
stellungen phantastische Architekturteile und viele
scheinbar zufällige Überschneidungen. Diesen bei-
den Kompositionen gegenüber erscheint das zweite
von Granberg beschriebene, voll bezeichnete Ge-
mälde von Hendr. Aerts, das sich seit kurzem im
Besitz von Dr. Hofstede de Groot im Haag befindet
und auch eine Außenarchitektur mit einer Be-
gräbnisprozession und im Vordergrund den Tod
mit einem Invaliden in einer Halle darstellt, recht
fortschrittlich. Und doch ist es, wie das vorige
Bild 1602 datiert. Der moderne Eindruck be-
ruht darauf, daß die Architektur weniger phan-
tastisch, sondern mehr portraitmäßig als auf den
beiden andern Stücken gegeben ist. — Govert
Dircksz. Camphuysen ging bekanntlich 1652
nach Schweden und war dort 11 Jahre lang
tätig. Daher hatte Granberg eine reiche Aus-
beute: 12 voll bezeichnete Werke dieses so
originellen Meisters sind beschrieben. Von den
abgebildeten ist wohl „La laitiere" (Sammlung
H. Ramel, Övedskloster) das wichtigste. In der
Zeichnung der Personen und des Viehs, ferner
im Verhältnis der Figuren und der Tiere zur
Landschaft ist das Bild dem großen Camphuysen
zugeschriebenen Stück in Cassel1) ganz nah ver-
wandt. Es allein würde genügen, das Casseler
Bild, das man immer wieder dem Potter geben
wollte, als Werk des Camphuysen zu beweisen.
Auch die großen Dimensionen kommen dem
Casseler Bild so nahe, das man es fast als Pen-
dant dazu auffassen möchte2). Was uns an dem
Werk am meisten interessiert, ist die echt rusti-
kane Stimmung, der „ländliche Geruch", den die
Darstellung ausströmt. Camphuysen erinnert
hierin stark an den Flamen Siberechts. Die
beiden andern Reproduktionen nach G. Camp-
huysen, die „wilden Gänse" (Slg. Schlesinger,
Stockholm), deren Komposition etwa dem Stil
eines J. Spruyt entspricht, und die „Szene in
einem Wirtshaus" (Slg. v. Düben, Södra Lindved),
bei der die für Camphuysen typische Vorliebe für die
Da eine Tätigkeit dieses Meisters in Holland nachgewiesen
ist, so lassen sich künstlerische Beziehungen zu Hendr.
Aerts leicht erklären. Daß solche Beziehungen bestehen,
beweist ein Vergleich des hier abgebildeten „Palais" Hendr.
Aerts mit dem „Schloßhof" des H. Vredemann de Vries
(im Wiener Hofmuseum, Abb. 5 bei Jantzen).
(x) Katalog 1888, Nr. 343.
(2) Es liegt nicht fern, anzunehmen, daß diese groß-
figurigen Stücke durch den „Jungen Stier" Potters (Haag,
Mauritshuis) angeregt worden sind. Auch für die Ent-
stehung von Berchems „Hirtenfamilie" (Mauritshuis), die
ein Jahr nach dem „Jungen Stier" gemalt wurde, könnte
Potters großfiguriges Bild von Einfluss gewesen sein.
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