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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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nachdem wir ebenso auf I2 / inftantiam / ergänzt
haben, auf 13—18 ganz sicher / it(uft^ /.pricipi® /
ac bnt/< lubroi / ci coit^ / palatnt /, worauf 19 — 22
(darauf noch die für mich unentzifferbaren Bruch-
stücke) weitere dem Herzog zukommende Titel,
so insbesondere das „ducis bavarie utriusque" und
vielleicht auch einem in den Urkunden des Herzogs
nie fehlenden Hinweis auf seine Verschwägerung
mit dem französischen Königshause oder seine von
den Engländern okkupierte französische Grafschaft
Mortaigne enthalten haben werden. Für den Namen
des Künstlers scheint mir in der Umschrift kein
Raum mehr. War er einst auf dem Modell vor-
handen, so könnte er sehr wohl auf einem der ver-
schollenen, mit Wappendarstellungen geschmück-
ten Seitenteile, deren Ansatzspuren auf der Unter-
seite noch deutlich zu erkennen sind, gestanden
haben. Wir vermissen ihn jetzt kaum mehr,
nachdem wir zu all den offenbaren stilistischen
Übereinstimmungen mit urkundlich sicheren oder
mit guten Gründen zugeschriebenen Werken Hans
Multschers und seiner Werkstatt nun auch noch
eine in ihren wesentlichen Eigentümlichkeiten mit
der nur ein wenig breiter abgefaßten Unterschrift
des Kargaltars übereinstimmende Inschrift gefun-
den haben 9. Ist an sich schon die Tatsache, daß
ein dem Gegenstand nach verhältnismäßig unbedeu-
tendes Werk nicht nur das Anfertigungsjahr (1435)
sondern auch das Vollendungsdatum nannte, be-
merkenswert, so überrascht hier, daß es auf genau
dieselbe Weise wie am Kargaltar geschieht, näm-
lich mit dem „ipsa die". Könnte das immer
noch ein zufälliges Zusammentreffen sein, so er-
scheint mir ein solches doch völlig ausgeschlossen
bei der beiderseitigen Bezeichnung des Werkes als
„iste labor", statt etwa des gebräuchlichen „hoc
opus", die so ungewöhnlich ist, daß es überhaupt
fraglich erscheint, ob sie ein drittesmal auf deut-
schem Boden vorkommt.
Charakteristisch scheint mir die Umschrift auch
für die Art des Meisters selbst, der seine Werke,
ob groß oder klein an Umfang, mit derselben Be-
zeichnung belegt und auch das kleinste Stück von
seiner Hand für so wertvoll hält, daß ihm die An-
gabe des Vollendungsdatums geboten erscheint.
Das zeugt von einer ganz ungewöhnlich hohen
Selbsteinscbätzung des Künstlers, der er am Karg-
altar noch einen besonders prägnanten Ausdruck
durch die oben wiedergegebene Nachtragszeile ver-
liehen hat, wahrscheinlich erst lange nach Vollen-
dung des Werkes und zu einer Zeit, als es nicht
(2) Ob wir statt confectus etwa finitus, für instantiam et-
wa iussum ergänzen wollen, bleibt für die Sache belang-
los.

mehr selbstverständlich war, daß er eine ihm über-
tragene Aufgabe auch eigenhändig zu Ende führte.
Dafür scheint mir wenigstens die bisher anschei-
nend nicht beachtete Tatsache zu sprechen, daß
die Nachtragszeile zwischen den Worten MANV
und MEA einem Sprung der Steinplatte ausweicht,
auf den die oberen Zeilen, da er mitten durch die
Buchstaben hindurchgeht, noch keine Rücksicht
nehmen. Wie dem nun sei, erklärlich wird das
große Selbstbewußtsein bei der infolge der stilisti-
schen Verwandtschaft von Multschers Frühwerken
mit den Hochgräbern in Dijon naheliegende An-
nahme, daß der Meister seine künstlerische Aus-
bildung in der dortigen, auch der Ulmer weit
überlegenen Bildhauerschule gewonnen habe ,, eine
Annahme, die andrerseits auch erklärt, warum der
für alles Französische schwärmende alte Bayern-
herzog sich gerade an ihn wandte, nachdem ihm
infolge der politischen Verhältnisse ein direkter
Verkehr mit dem französischen Hofe, bei der er-
bitterten Feindschaft gegen Herzog Philipp vom
burgundischen gar nicht zu reden, unmöglich ge-
worden war.
Es mag im Anschluß hieran noch ein Wort
über die Ulmer Rathausfiguren, soweit sie für Mult-
scher oder seine Werkstatt in Betracht kommen,
gesagt sein. Die Tatsache, daß der Träger des ungari-
schen Schildes die bis ins Detail gleiche Rüstung
trägt, wie der Herzog auf dem Modell, läßt darauf
schließen, daß beide Werke gleichzeitig entstanden
sind, die Rüstungsmoden wechseln gerade in jenen
Jahren sehr rasch. Diese Vermutung wird bestä-
tigt durch die Zusammenstellung der Wappen in
der fraglichen Figurengruppe, die doch einen Sinn
haben muß. Die Wappen Karls des Großen, Un-
garns2) und Böhmens kamen Kaiser Sigismund und
nur ihm zu, da er der einzige bis auf Kaiser Maxi-
milian gewesen ist, der die drei Kronen in
seiner Hand vereinigte. Schon als Knabe mit der
Erbin der ungarischen Königskrone vermählt,
wurde er mit dem Tode seines Bruders Wenzel
1419 de jure König von Böhmen, am 31. Mai 1433
empfing er in Rom die Kaiserkrone, mit seinem
Tode am 9. Dezember 1437 fielen die drei Reiche
wieder auseinander. So scheint mir das Denkmal,
als welches sich das Prunkfenster, das die Sta-
tuetten vereinigt, darstellt, kaum vor 1433 und
kaum nach 1437 entstanden sein zu können; in
diese kurze Zeit fällt der Reichstag, den Sigismund
1434 in Ulm abhielt, und ich gehe wohl nicht
(1) Ob nicht auch die eigentümliche Schreibweise „santta"
statt „sancta" in der Umschrift des Kargaltars (vgl. die
Abb.) auf französische Bildung des Künstlers zurückzu-
führen ist, muß ich dem Urteil Sprachkundiger überlassen.
(2) Nicht Polens!

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