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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

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anzufügen. So Müntz, L. d. V., 508, während v. Seidlitz, II. 34, noch hinzusetzt, daß
„ein solches Verkürzungskunststück, das an die Halbfigur des Johannes im Louvre
erinnere, auf die letzte Mailänder Zeit zu deuten scheine" und II. 383, daß das Bild
in Cosimos Guardaroba von 1553 nicht aufgeführt sei. Auch Osv. Siren, L. d. V.,
Stockholm 1911, schreibt S. 19 nur, daß man den Engel nicht mit Sicherheit identifi-
zieren könne, die Beschreibung aber vollständig (!) auf den Johannes B. des Louvre
passe. So weit also der Stand der heutigen Forschung.
Mit geringer Mühe hätte man über das im 19. Jahrhundert mysteriös auftauchende
und wieder verschwundene angebliche Original des Engels Genaueres erfahren
können. Bei Rigollot, Catalogue de l'oeuvre de L. d. V. 1849 S. 5 schrieb Passa-
vant: Der Großherzog von Toskana habe das Bild von dem russischen Käufer
wieder erwerben wollen, sein Vorhaben sei aber an der maßlosen Forderung des
neuen Besitzers gescheitert. Sehr viel mehr aber erzählt uns J. W. Brown, Life
of L. d. V., London 1828, den Rigollot S. XXXI gesteht nicht benutzt zu haben.
Wenn B. auch offenbar das Bild nicht selbst gesehen hat, bietet er doch als um-
sichtiger Schriftsteller wertvolle Details. (S. 19—21 und 249.) Ein Trödler habe
das Bild in Florenz für 21 quattrini (ca. 25 Pf.) gekauft und an den Zeichenlehrer
Fineschi für 3 paoli (ca. 1,50 M.) weiter gegeben. Es bestehe kein Zweifel an der
Echtheit des Werkes, das auf der Rückseite zum Schutz gegen Holzwürmer mit
einer Art stucco überzogen sei. Die Beschreibung Vasaris, sowohl der Komposi-
tion als auch der starken Helldunkelwirkungen passe genau. Das Bild stehe zum
Verkauf. Die Maler möchten untersuchen, wie großen Schaden es gelitten habe.
Es sei verständlich, daß die Leiter der großherzoglichen Galerie den Wert eines
Bildes herabzusetzen suchten, das vor mehr als 100 Jahren mit altem Gerümpel
aus der Sammlung entfernt sei.
Es galt zunächst die Komposition des Engels genau festzustellen und dann das
Bild des Fineschi wieder aufzufinden.
Zunächst versuchte ich nach Vasaris Beschreibung den Engel zu rekonstruieren.
Immer kam eine Variante des Johannesbildes des Louvre heraus, nämlich die im
Jahrb. der Pr. Kunstsammlungen XIX., Heft 4 von Müller-Walde zuerst publizierte
Kopie bei Mr. W. G. Waters1). Nicht das Louvrebild, weil die von Vasari so be-
stimmt beschriebene Verkürzung des Oberarmes sich bei diesem Bilde nicht vor-
findet, wogegen sie bei dem Gemälde bei Waters genau in der angegebenen Form
zu sehen ist.
Sollte nun vielleicht Vasari diese von Müller-Walde als „erste Redaktion des
Johannesbildes" benannte Komposition Leonardos für einen „Engel" angesehen
haben? Für diese Ansicht spräche nicht allein die engelgleiche Bildung des lockigen,
zum Himmel weisenden Jünglings, der in dem Bilde bei Waters nur durch das
Tierfell zum Johannes gestempelt wird2), sondern noch ein anderer wichtiger Um-
stand. Vasari erwähnt nämlich die Komposition eines Johannesbildes bei Leonardo
überhaupt nicht, obwohl sie in seinen Vorlagen, dem Libro d'Antonio Billi und bei
dem Annonimo Gaddiano aufgeführt wird, die ihrerseits beide wieder keinen „An-
gelo" kennen. (Carl Frey, II Libro d'Antonio Billi, 1892 S. 51, Fecie... uno Santo
Giouanni; von demselben II Codice Magliabecchiano, S. 111, Dipinse anchora un
San Giouannj.) Daß der Ausschreiber Vasaris, Raff. Borghini, 1584 in seinem

(1) Siehe Abbildung I.

(2) O. Siren, S. 330, macht sogar über den Johannes B. des Louvre die hübsche Bemerkung: wenn
er ohne Rohrkreuz und Tierfell aufträte, würde man ihn sicher „Fede" oder „Speranza" nennen.

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