Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Monatshefte für Kunstwissenschaft — 4.1911

Zitierlink:
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/monatshefte_kunstwissenschaft1911/0042

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
REZENSIONEN _
AUGUST GRISEBACH. Der Garten.
Eine Geschichte seiner künstlerischen
Gestaltung. 125 Seiten und 88 Abbild,
auf Tafeln. Verlag Klinkhardt & Biermann,
Leipzig 1910.
Die Geschichte des architektonischen Gartens
findet hier die erste zusammenfassende Darstellung
von deutscher Seite. Der Garten des architekto-
nischen Stils oder ähnlich müßte der genauere
Titel lauten, die Wandlung zum malerischen Stil
in der 2. Hälfte des XVIII. Jahrhunderts wird nur
anhangsweise und mehr vom Geschichtspunkt der
Auflösung des strengen Gartenstils behandelt. Die
Entwicklung der Gartenkunst wird zunächst in
ihren Grundzügen dargestellt. Die Anfänge der
künstlerischen Gartengestaltung in dem Lust- und
Wurzgarten des Mittelalters und die Ausbildung
des Lustgartens der Renaissance, der das Parterre
ausprägt, werden erörtert. Das Hauptgewicht wird
auf den Garten des Barock gelegt, der die zu-
sammenschließende Gliederung an Stelle der ein-
ander gleichwertigen Teile bringt, der Entwicklung
des Schloßbaues gemäß; „das Parterre als mittlerer
Hauptraum, dem nach dem Garten blickenden
zentralen Festsaal im Schloß entsprechend, im
Anschluß daran, den privateren Gemächern analog,
die Reihe der Bosketträume, verbunden durch
Alleen, die, gleich den im Gebäude damals neuer-
scheinenden Korridoren und Galerien] eine bequeme
Verbindung zwischen den Quartieren herstellen."
Das Inkrafttreten des architektonisch-räumlichen
Elementes, des gutwirkenden Reliefs im Garten
durch die scharfe Trennung des Bosketts und
Parterres, „die Steigerung der Bewegung nach der
Mitte in den Hauptprospekts", die Erweiterung
der Perspektive, diese Grundmomente des Barock-
gartens werden trefflich klar gemacht. Die Ent-
wicklung wird von den italienischen Gärten des
XVI. Jahrhunderts bis zu den Schöpfungen Leno-
tres verfolgt. An diese Darstellung der allgemeinen
Richtlinien schließt sich die Untersuchung einzelner
Repräsentanten ; bemerkenswert ist die Beobachtung,
wie der „Terrassengarten" der römischen Villenbau-
meister des XVI. Jahrhunderts bei den französi-
schen Baumeistern nach der Mitte des XVII. Jahr-
hunderts, ihrer Richtung auf Bequemlichkeit ent-
sprechend, in sanften abfallenden Terrassen ange-
legt wird. Unter den „Gärten der Ebene" werden
einige der wichtigsten Schloßgärten Deutschlands
(Favorite, Veitshöchheim) besprochen. Weiterhin
unsersucht der Verfasser mit einer an Burkhardts

und Wölfflins Schriften geschulten Systematik die
für besondere Zwecke geschaffenen Gärten, Kloster-
und Schulgärten, Blumengärten, Orangerien, Giar-
dini secreti und die gegenwärtig im Vordergrund
des Interesses stehenden Hausgärten. Daran schließt
sich die Besprechung der für den Barockgarten
charakteristischen Einzelheiten, der Parterre-Orna-
mente, Laubgänge, Alleen, Bosketträume, Hecken,
Baumfiguren, Labyrinthe, der Wasserspiele (Kas-
kaden, Fontainen, Kanäle), deren Bedeutung im
Bilde des Barockgartens Wölfflin zuerst betont
hat. Schließlich werden die Gartenarchitekturen,
unter denen die Grotte die erste Stelle einnimmt,
und die Gartenplastik, die namentlich für die Ge-
schichte der deutschen Bildhauerei des XVIII. Jahr-
hunderts von großer Wichtigkeit ist, behandelt.
Als Abbildungen sind zeitgenössische Stiche bei-
gegeben, mit feinem Gefühl ausgewählt. Einige
Abbildungen von Gemälden, wie sie namentlich
die holländische und flämische Schule des XVI.
und XVII. Jahrhunderts bietet, hätten allerdings
die Wirkung der alten Anlagen veranschaulicht,
da der Stich mehr die architektonische Idee gibt.
Auch Photographien erhaltener alter Anlagen
wären erwünscht gewesen. Schließlich ist aber
das, was der Verfasser erstrebt hat, völlig erreicht.
Vor der Systematik mußte der individuelle Ent-
wicklungsgang notwendigerweise in den Hinter-
grund treten. Zu weit gegangen ist es, wenn aus
prinzipiellen Überlegungen heraus praktisch und
tatsächlich berechtigte Begriffe, wie „italienischer"
und „holländischer" Gartenstil annulliert werden.
Die Schilderung der Entstehung des englischen
Gartens im Schlußkapitel ist von einem vorge-
faßten Parteistandpunkt aus entworfen. Alle Mo-
mente werden zusammengetragen, um diese Be-
wegung in Mißkredit zu bringen. Das Wesent-
liche und Positive dieser Kunstart, deren Ursprung
in einer neuen malerischen Anschauung von der
Natur beruht, die neben der architektonischen
gleichberechtigt ist, wird nicht hervorgehoben.
Es gibt einen großen und einen kleinlichen eng-
lischen Gartenstil, wie es einen großen französi-
schen Gartenstil und eine kleine schematische
Manier dieses Stils gibt; nicht aus den Gefühls-
ergüssen der Romantiker oder den Spielereien der
Gartenliebhaber kann man [ein Urteil über diese
neue Gestaltungsweise gewinnen, sondern aus den
Schriften und Leistungen der großen englischen
und deutschen Baumeister der 2. Hälfte des
XVIII. Jahrhunderts; die Blüte des großen eng-
lischen Gartenstils fällt in die Zeit von rund 1770

28
 
Annotationen