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Müller, Karl Otfried [Hrsg.]; Wieseler, Friedrich [Bearb.]
Denkmäler der alten Kunst (Band 1: Text) — Göttingen, 1854

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https://doi.org/10.11588/diglit.5922#0096
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_ 87 —

dass in Betreff des Einzelnen vielfache Abweichung Statt findet. Wen-
den wir uns zunächst zu dem Mittelpunkte des Ganzen, dem mittleren
Felde, so steht zuvörderst zu bemerken, dass die Mehrzahl die erst von
Mongez aufgestellte Deutung der betreffenden Figuren auf Clio und
Polyhymnia nicht kennt oder verschmäht und jene mit den älteren,
namentlich Rubens, als Ag rippi na, Gemahlin des Gennanicus,
und Julia Livilla, Drusus des jungern Gattin, dagegen aber
die von Müller nach Mongez auf Agrippina bezogene Figur als
Antonia, Germanicus' Mutter, fasst. Man beachte nun Folgendes, j
Von den Figuren dieses Feldes sind ausser den als 3-sol avvd-qovoi
oder näqsöqoi dargestellten des Tiberius und der Livia (von denen
jener nicht nur zur Rechten, sondern auch höher sitzt als diese
nur noch die auf Agrippina oder Antonia bezogene Figur mit Lor-
beer bekränzt. Man hat tfiese Bekränzung als Hindeutung auf das
Prieslerthum des Augustus gelasst, dessen Apotheose im obern
Felde vor sich gehe, obgleich es doch wohl auf der Hand liegt,
dass die Bekränzung sich auf das zunächst Angedeutete, auf die
Siege des Gernianicus und des Drusus, bezieht. Wie käme es nun,
dass gerade Agrippina und Livilla der Lorbeerkränze entbehrten? !
Für die Agrippina, die „mater castrorum", soll es, meint man,
besonders passen, dass die bezügliche Figur auf Waffen sitzend
dargestellt ist. Auch der Chlamys, mit der diese Figur angethan
ist, hat man ähnliche Beziehung beigelegt. Würde aber Agrip-
pina, die doch ihren Gemahl auf seinem Zuge begleitete, wohl ru-
hig dasitzend dargestellt sein, während Gennanicus sich eben an-
schickt fortzugehen und Caligula schon im Fortgehen begriffen ist?
Und — was die Hauptsache ist — wie will man die Rolle in der
H\nd der Agrippina erklären? Bezieht man dagegeu die Figur mit
Mongez auf eine Muse, so macht weder diese Rolle noch jene
chlamysartige Tracht und der Mangel eines Lorbeerkranzes die ge-
ringste Schwierigkeit. Ob aber diese Muse gerade Clio zu benen-
nen sei, ist die Frage. Man fasst das Sitzen auf Waffen als eine
Hindeutung auf geschichtliche Berichte über Waffenthateu. Aber
es passt wohl noch besser für die Muse des Heldengesanges, CaJ-
1 i o p e, und dass dieser die Rolle eben sowohl zusteht als der Clio,
ist bekannt. Es verschlägt natürlich nichts, dass jene Waffen,
ebenso wie die, auf welchen Caligula einherschreitet, ganz ähnlich

wie auf dem Cameo unter n. 377, als die vor dem thronenden
Paare niedergelegten Spolien zu betrachten sind. Steht nun die Deu-
tung jener Figur als Muse sicher, so wird man die derselben sym-
metrisch entsprechende, ebenfalls des Lorbeerkranzes entbehrende
zunächst ebenso zu deuten geneigt sein. Auf den Abbildungen bei
Mongez und Lenormant blickt die Figur nach derselben Richtung
hin wie Drusus. Lenormant, der zu denen gehört, welche jene
für Julia Livilla halten, meint, dass Drusus seine Frau auf das,
was im obersten Felde vor sich gehe, aufmerksam mache. Nach
der Clarac'schen Abbildung geht die Richtung des Blickes vielmehr
nach der Stelle hin, wo Tiberius thront und Germanicus vor ihm
steht. Ein Aufmerksammachen ist nicht besonders ausgedrückt.
Geben —- was uns sicher scheint — die ersteren Abbildungen das
Wahre und ist die Figur eine Muse, so soll dieser die Verherrlichung
des Drusus obliegen, wie der Calliope der Preis des Germanicus
und zwar nicht bloss in Bezug auf dessen erst bevorstehende Thaten.
Ist nun das zwischen Tiberius und Germanicus stehende Weib
Agrippina oder Antonia? Es hat die Rechte um den Hals herum
an den Kopf des Germanicus gelegt, indem es ihn unverwandt und
innig anblickt. Germanicus aber schaut nicht auch nach dem
Weibe hin, sondern sein Blick ist auf den Tiberius gerichtet, in-
dem er mit einer eigentümlichen Haitang des rechten Arms die
Hand dieses Arms oben auf den Helm gelegt hat. Je mehr ich
diese Figuren betrachte, um desto wettiger kann ich weder der
obigen Müller'sehen Auffassung beistimmen, noch der gewöhnlich
angenommenen, nach welcher das Weib den Germanicus bittet,
den Helm abzulegen, da des Kriegens von seiner Seite genug gesche-
hen sei, dieser aber, zum Zeichen, dass er, wie immer, so auch jetzt
bereit sei, für die Verteidigung des Reiches zu fechten, vielmehr den
Helm auf seinem Haupte befestigt. Nein, Germanicus, der eben sei-
nen Auftrag aus dem Munde des Kaisers empfangen hat, verabschie-
det sich jetzt von demselben, indem er, wie es scheint, eine Ge-
berde der Betheuerung macht; das Weib umhalst den Vielgeliebten,
der sich wieder von ihm trennen wird, aber nur leise, wie es sich
bei solcher Situation und in der Gegenwart des höchsten Herr-
schers geziemt; erst später wird Germanicus den Liebesblick erwie-
dern und von seiner theuren Mutter Abschied nehmen können

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