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Das Märlein vom kleinen Frieder mit der Geige

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Es war einmal ein kleines krummbeiniges Bürschlein, dem seine Eltern früh ge-
storben. Da verdingte sich der Frieder — also war dessen Name — bei einem
Bauersmanns. Nach drei Jahren halt' er's aber genug und wollte weiter wandern;
begehrte von seinem Herrn den Lohn und erhielt auch für jedes Dienstjahr ein
Hellerlein, thut in Summa drei Hellerlein. Die steckt' er in einen ledernen Beutel,
schied von Bauer und Bäuerin und ging seines Wegs. Da führte ihn dieser an
einem Berge vorbei in eine Felsschlucht, wo der Berggeist Nebelkapp gern die
Wanderer foppte und anhielt. Solches geschah auch dem Frieder, und er mußte
seine drei Hellerlein hergeben, mir nichts dir nichts. Der Berggeist Nebelkapp
schenkte ihm aber dafür ein gutes Vogelrohr, eine Geige, nach der jedweder springen
und tanzen mußte, mocht' er wollen oder nicht, und verlieh ihm noch die Gabe,
daß seine erste Bitte nicht abgeschlagen werden konnte. Der Handel war nicht
schlecht. Dauerte nicht lang, so sah Frieder einen Mann mit langem Barte unter
einen: hohen Baume stehen, darauf ein goldenes Bögelein wunderschön sang. Der
Mann aber sagte immer vor sich hin: „Tausend-Element! könnt' ich doch den
Vogel haben!" Klein Frieder besann sich nicht und schoß mit seinem Rohre das
Thierlein herab; das siel in einen Dornstrauch. Der Fremde lief gleich herzu
und wollt' es aufheben. Da fing das Bürschlein zu geigen an und sprach: „Warte,
ich spiel' Dir Eins dazu aus!" Der Mann sprang ans und ab, denn er konnte nicht
anders. Am Dornbusch riß es ihm aber Bart und Kleider hin und her und das

Gesicht ward ihm auch hübsch verkratzt. „O weh, o weh!" schrie er. „Hör' auf
mit dem Fideln! Ich geh' zu Grund und will Dir einen Beutel mit Gold geben,
so Du mich nicht mehr tanzen mach'st!" Da hört der Frieder das Geigen und
der Mann das Tanzen ans. Jeder geht seines Weges und der Frieder war-
um seinen Musikantenlohn froh. Der Gauner aber läuft zum Richter und läßt
den Geiger packen, als ob der ihm den Beutel mit Gold gestohlen habe. Das
Verhör war nicht lang und der arme Frieder stund kurz darauf schon unter
dem Galgen. Da bat er den Richter, er möge ihm noch Eins geigen lassen.
Der konnt's ihm nicht abschlagen, wenn auch der Kläger dagegen protestirte.
Da fing nun Alles zu tanzen an: Richter, Henker, Büttel, die Wachtknechte
und Jung und Alt und der Gauner mußte auch wieder mitspringen. „Hör'
auf, hör' auf" — schrie der Richter — „Du sollst frei sein, ich gelob' Dir's!"
Und da er vom Tanze verschnauft hatte, ging's über den Ankläger her; denn
der hatte das Gold vorher gestohlen gehabt und ward als ein Erzgauner er-
kannt. Für ihn war nun der Galgen gerade recht. Der Frieder aber ging
fröhlich von dannen und verdiente sich ehrlich sein Brod; denn wo er geigte,
da ging's lustig her. Einmal aber starb er — doch nicht wie der Andere am
Galgen. Er ward ehrlich begraben, und als man ihn in die Grube senkte, da
sprangen alle Saiten an seiner Fidel. Das ist das Märlein von: Frieder und
seiner Geige.

Münchener Bilderbogen.
6. Auflage.

Xitt. 122.

Herausgegeben und verlegt von K. Braun und F. Schneider in München.

Kgl. Hof- und Universitäts-Buchdruckerei von vr. C. Wolf L Sohn in München.
 
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