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in Gruppen auflöst. Er scheut sich dabei nicht vor dem vielleicht grausamsten Detail seines
ganzen Werkes, der rohen Blendung eines am Boden liegenden Bischofs. Der Bohrer frei-
lich, der die Grausamkeit begeht, ist eine der gelungensten Figuren, zu der sich die aus-
gezeichnete Naturstudie erhalten hat. Die Geißelszene im Mittelgrund vermittelt zu den
gräßlichen Szenen in einem Steinbruch, wo man sieht, wie die Schergen die bedauerns-
werten Opfer den Abhang hinauftreiben, um sie dann in die Tiefe zu stürzen.
Die fünf restlichen Blätter der Großen Passion, die sich bis in das Jahr 1498 hinein-
gezogen haben können, zeigen deutliche Verbindung zu späteren Blättern der Apokalypse.
So der »Ö'lberg« und das »Ecce homo« (Johanneskopf des ’O’lbergs und Kopf des Engels,
der den Satan verschließt; Schwertscheide auf Ecce homo und Johannesmartyrium). Der
Kreuztragung (Dürer verwertet hier den geprügelten Orpheus aus dem Mantegna-Kreis)
und Beweinung spürt man die Einwirkung von Schongauerstichen (B 21, 24) an. Die Be-
kundung des Schmerzes durch Umfassen des Knies und Verhüllen der Unterpartie des
Gesichts ist bei Dürer deutlicher, drastischer als auf dem Kreuzigungsstich (B 24). Da der
Johannestypus auf der »Kreuzigung« wechselt, ist sie wohl als letztes Blatt zu be-
trachten.
Noch bevor Dürer den großen apokalyptischen Stil gefunden hatte, muß er die sogenannte
Albertina-Passion (Geißelung, Domenkrönung, Kreuztragung und Kreuzigung) auf den
Stock gezeichnet haben. Italienische und Schongauersche Einflüsse kreuzen sich in ihr. Die
Forschung hat sich immer wieder gesträubt, derartige Arbeiten, zu denen auch die einige
Jahre späteren, zum Teil recht flotten Illustrationen zu den 1500 in Nürnberg bei Koberger,
seinem Paten, erschienenen Revelationes Sancte Birgitte (freie Umsetzungen der 1492 bei
Bartholomäus Ghotan in Lübeck erschienenen Ausgabe) und zu den Opera Hrosvite von
1501 zählen, anzuerkennen. Als Arbeiten, die Dürer für Auftraggeber gezeichnet hat und
mit denen er nicht handeln durfte, tragen sie nicht sein Zeichen. Wir müssen annehmen,
daß er in solchen Fällen mit geringerer Intensität arbeitete. Man würde sich leichter
dazu entschließen, sie Dürer abzusprechen, wenn die Holzschnitte zu Celtes, »Quattuor
libri amorum« von 1502 nicht ähnlich beurteilt würden und nicht einer davon das Zeichen
Dürers trüge. Die Qualitätsstufe derartiger Arbeiten freilich bleibt weit hinter der Apoka-
lypse zurück. Der Ausdruck »schlecht Holzwerk« darf aber nicht auf solche Arbeiten be-
zogen werden, da das Adjektiv damals eher den Sinn von schlicht hatte10.
Zwiespältig und unentschieden zeigen sich, auch drei noch in Italien oder kurz nachher ent-
standene große Holzschnitte (Beweinung, Sebastiansmarter, Calvarienberg, über einen hal-
ben Meter hoch), die ohne Zuziehung italienischer Vorlagen nicht zu denken sind und
vielleicht unter Assistenz eines in Venedig tätigen Holzschneiders entstanden. Auch sie sind
10 Erich Römer (Cicerone-Sonderheft 1928, S. 130 f.) zufolge gleichbedeutend mit grob, bäurisch
im Gegensatz zu schön gleich aus der Regel gemacht bzw. konstruiert.

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