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Verein für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung [Hrsg.]
Nassauische Annalen: Jahrbuch des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung — 52.1931

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Schneider, Walther: Der Freiherr vom Stein und sein Urteil über seine Mitmenschen
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https://doi.org/10.11588/diglit.62032#0056
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Der Freiherr vom Stein und sein Urteil,
über seine Mitmenschen.
Von
Dr. Walther Schneider^ Köln.

Alte Tradition setzt das geistige Konterfei des historischen Menschen zu-
nächst aus seinen Taten und Erfolgen, in zweiter Linie überwiegend aus den
Urteilen anderer über ihn zusammen. Durch die im neunzehnten Jahrhundert
in ungeahnter Weise überhandnehmende sogenannte „Memoirenliteratur“, von
deren Entartung nach dem Weltkriege hier abgesehen werden darf, ist die ge-
schichtliche Forschung mehr als früher, — vielleicht oft zu sehr — dazu ge-
leitet worden, dieses Spiegelbild, in dem die handelnden Persönlichkeiten, die
Träger des geschichtlichen Geschehens, sich selbst sehen, psychologisch zu be-
werten und nun ihrerseits zu einem „Für“ oder „Wider“ des Urteils zu gestalten.
Dabei ist von vornherein festzuhalten, dass Memoiren mit wenigen Aus-
nahmen nicht als historische Dokumente im strengen Sinne gelten können, da
sie naturgemäss subjektiv gefärbt sind. Andererseits ist das Bild, das aus den
eignen Erinnerungen des Gestalters widerstrahlt, der getreueste Spiegel der
Seele. So ist für die Ergründung des Charakters des historischen Menschen
massgebender als die Urteile der Mitmenschen über ihn oft das Urteil, das er
selbst über seine Freunde und Gegner fällt.
Die Fortschritte der psychologischen Motivforschung neuerer Zeit haben
auch den Historiker eingehender in die seelischen Grundbedingungen eindringen
heissen, denen die Urteile der grossen, beherrschenden Geister über ihre Zeit-
genossen ihre Entstehung verdanken. Wie sie manchem durch die Autorität
der Tyrannen unseres geistigen Lebens Verurteiltem schon zu seinem Recht
geholfen haben, so sind solche Untersuchungen andererseits auch nicht unfrucht-
bar für das tiefere Verständnis des Wesens der Urteilsfäller selbst geblieben.
Jrn folgenden soll versucht werden, an einigen Beispielen die Gründe auf-
zudecken, die den Freiherrn vom Stein zu seinen viel umstrittenen Urteilen über
seine Zeitgenossen, besonders über die Mitarbeiter an der Geschichte seiner
Epoche, geführt haben.
Ich mache dabei von vornherein einen taktischen Vorbehalt. Im 49. Jahr-
gang (1928) dieser Blätter glaube ich zur Evidenz die unantastbare Ehrlichkeit
und Sachlichkeit Steins, die auf der Basis seiner ethischen Persönlichkeit ruht,
bewiesen zu haben. Der grosse Kreis der Männer und Frauen, denen er Führer
und Vorbild edelster Lebensführung und selbstlosester Hingabe an die nationale
deutsche Idee war, ist sein Bürge vor dem Richtstuhl der Geschichte. Merk-
 
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