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Verein für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung [Editor]
Nassauische Annalen: Jahrbuch des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung — 52.1931

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Ritter, Gerhard: Die Aechtung Steins: neues Quellenmaterial zu ihrer Erklärung
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https://doi.org/10.11588/diglit.62032#0007
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Die Aechtung Steins.
Neues Quellenmaterial zu ihrer Erklärung
vorgelegt von
Gerhard Ritter.
Das Aechtungsdekret, das Napoleon am 16. Dezember 1808 gegen den
gestürzten Minister Freiherrn vom Stein erliess, ist von jeher als eine der
rohesten Gewalttaten des Imperators beurteilt worden. Die förmliche Kriegs-
erklärung gegen einzelne Individuen ist zwar in der Geschichte der modernen
Diplomatie nichts Unerhörtes mehr, seit wir es erlebt haben, dass ganze
Scharen von angeblichen „Kriegsverbrechern“ von den in Versailles verbündeten
Mächten als Schlachtopfer verlangt wurden. Aber in der Geschichte Napoleons,
so reich sie auch ist an Gewalttaten und so brutal ihre Methoden einer Zeit
erschienen, deren Diplomatie noch an die aristokratischen Verkehrsformen des
18. Jahrhunderts gewöhnt war, bildet die Friedloserklärung eines einzelnen
aus der hohen Politik schon vorher verdrängten Mannes doch einen sehr merk-
würdigen Ausnahmefall. Bekanntlich haben schon die diplomatischen Werk-
zeuge Napoleons selbst, der Minister des Auswärtigen Champagny und sein
Gesandter Graf St. Marsan, seinen Befehl, die förmliche Auslieferung des
„Hochverräters“ zu verlangen und mit seiner Füsilierung zu drohen, schlechthin
unerträglich gefunden und die Ausführung auf eine sehr geschickte Art sabo-
tiert. Die moderne Geschichtsschreibung aber hat sich bisher noch immer
vergeblich den Kopf darüber zerbrochen, welcher konkrete Anlass den Gewalt-
schritt verursacht haben könnte.
Max Lehmann in seiner grossen Steinbiographie sucht zunächst durch
eine Gegenüberstellung Steins und Napoleons in monumentalem Stil, die beide
als Vertreter gegensätzlicher politischer Prinzipien, ja als Führer von zwei feind-
lichen politischen Welten erscheinen lässt, den Eindruck zu erwecken, dass
hier notwendig ein Zusammenstoss von grosser Gewalt erfolgen musste. Vom
Standpunkt Napoleons gesehen, heisst das aber doch die politische Rolle des
preussischen Reformministers in ihrer Wichtigkeit übertreiben. Gewiss hatte
ihm dessen unheilvoller Brief an Fürst Wittgenstein vom 15. August 1808, der
den Franzosen in die Hände gefallen war, blitzartig die Gefahren erhellt, die
ihm von einem nationalen Auf stand in Norddeutschland drohten. Aber ob er
diese Gefahren wirklich schon damals für unmittelbar dringend gehalten hat?
Von der allgemeinen Erbitterung preussischer Beamten und Offiziere gegen die
Fremden wusste er durch seinen kunstvoll ausgebauten Postüberwachungs- und
Spionagedienst schon längst. Anderseits wird er über die unbedingt fried-
fertige Gesinnung des preussischen Königs schwerlich im Zweifel gewesen sein.
Die Unvorsichtigkeit des preussischen Ministers war ihm in erster Linie ein
NASS. ANNALEN, Bd LIt I Heft. 1
 
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