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Verein für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung [Hrsg.]
Nassauische Annalen: Jahrbuch des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung — 52.1931

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Schneider, Walther: Der Freiherr vom Stein und sein Urteil über seine Mitmenschen
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https://doi.org/10.11588/diglit.62032#0080
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W. Schneider.

burger Zeitung keine lese, so weiss ich nicht, was in den andern erzählt worden,
Ihre Schreiber handeln im Geiste ihres Handwerks, wenn sie alles auffassen,
verbreiten und auch erfinden, was den Pöbel ihrer Leser anziehen kann. Auch
wundere ich mich nicht, dass in einem Krähwinkel wie Wiesbaden dergleichen
Dinge geglaubt, besprochen werden, besonders, da viele dorten geneigt sind,
von mir das Schlimmste zu denken. Wenn aber in Frankfurt, und zwar nicht
in Fuselkapellen, denn diese besuchen E. E. nicht, sondern in den guten Gesell-
schaften, wahrscheinlich auch von den Diplomaten, dergleichen Dinge von einem
Manne gesagt werden, der vier Jahre unter ihnen lebt, dessen ganzes früheres
Leben und dessen äussere Verhältnisse hinlänglich bekannt sind, wenn man von
ihm dergleichen Dinge nur erwähnen kann, als einer Teilnahme an einer, —
im Fall sie existiert, — ebenso verruchten als aberwitzigen Verschwörung, dann
gestehe ich: vox faucibus haeret über eine solche viehische Dummheit oder
eine solche teuflische Bosheit oder einen solchen nichtswürdigen und aus einem
durchaus verfaulten Herzen entstehenden Leichtsinn“.
Nach dem Gesagten erübrigt es sich im Rahmen dieser Darstellung, näher
auf die Verblendung einzugehen, mit der sich Marschall in kleinstaatlicher Ver-
ranntheit gegen deu Zollvertrag mit Preussen wehrte. So scharf naturgemäss
auch hier Steins Kritik ist, so wirft sie doch kein weiteres Licht auf das per-
sönliche Urteil über Marschall. Dass dieser übrigens auch in diesem Kampf
nicht immer mit reinen Waffen gekämpft haben kann, dafür spricht die scharfe
Stellungnahme Bernstorffs, der an den Bundesgesandten v. d. Goltz schrieb: „Es
würde unter der Würde unseres Hofes sein, diesem in keiner Hinsicht achtungs-
werten Manne irgend eine gegen seine Person gerichtete Empfindlichkeit zu
äussern“.
Es ist im allgemeinen gewiss kein erfreuliches Bild, das im Lichte des
Steinschen Urteils vom Minister von Marschall entsteht. Er verkörperte ja alles
das, was Stein bekämpft: Der „Deutsche“ Stein stand gegen den engstirnigen
Kleinstaatler, der Befreier der Nation gegen den Höfling und Fürstendiener,
der geschichtlich denkende, ständisch gesinnte Aristokrat gegen den liberali-
sierenden „Buralisten“ und schliesslich der Schöpfer der staatsbürgerlichen
Selbstverantwortung gegen den Vertreter der selbstherrlichen „Schreiberkaste“.
Wenn trotz dieser vielen Gegensätze in Steins Urteilen jede Anspielung auf
persönliche Schwächen, besonders in sittlicher Beziehung fehlt, so zeigt das,
dass Marschall in anderer Beziehung höchst achtungswert gewesen sein muss.
Vielleicht hat Sauer in gewissem Sinne recht, wenn er sagt: „Ein kleinstaat-
licher Minister konnte im Jahre 1819 nicht wohl anders denken oder handeln
wie Marschall“; indessen hätte er zufügen müssen: ein Minister, der, wie Mar-
schall, eben nichts sein wollte als ein Beherrscher seines Herrn. Zu viel rein-
waschen zu wollen, kann zum Schaden werden, wie Sauers Versuch zeigt.
Steins Urteile zeigen, auch wo sie hart erscheinen, strenge Gerechtigkeit
und vielfach überraschende Milde und Verständnis für Schwächen seiner Mit-
menschen, von denen er selbst frei war. Unerbittlich war er nur da, wo die
zwei Sterne in Gefahr kamen, verdunkelt zu werden, die seinem Dasein leuchteten:
das Glück und die Ehre der deutschen Nation und die Heiligkeit der sittlich-
religiösen Lebensführung.
 
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