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Verein für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung [Hrsg.]
Nassauische Annalen: Jahrbuch des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung — 52.1931

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Wilhelmi, Eduard: Die Zehntfrage und ihre Bedeutung in der Nassauischen Revolution im Jahre 1848-1849
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https://doi.org/10.11588/diglit.62032#0183
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Bedeutung der Zehntfrage in der Nass. Revolution im Jahre 1848/49. 177
lagen auf Grund und Boden Staats-, Kirchen-, Gemeindesteuern, Hirtenlohn,
Gülten und Grundzinsen. Nach Abzug dieser Abgaben blieb dem Landmann
bei der damaligen schlechten und minderwertigen Bewirtschaftung fast nichts
mehr übrig.1) Der Bauer arbeitete übermenschlich, suchte sich also dem Lose
der Sterblichen nicht zu entziehen, aber er erarbeitete sich nicht da,s Nötigste
an Kleidern und Schuhen. An Geistesbildung konnte er gar nicht denken. Er-
lebte von schlechten Kartoffeln und einer schwarzen Brühe, die aus gerösteten
Kartoffeln und Gelberüben hergestellt war. Aus Mangel an Geld mussten viele
an Krankheiten dahinsterben. Sie waren belastet mit Skrofeln und ansteckenden
Krankheiten.2) Der nassauische Bauer war fast ausschliesslich Kleinbauer. Die
wenigsten hatten mehr als 10—15 Morgen Land. Jeder strebte nach einem
Stückchen Grund und Boden, um nicht als „Habenichts“ dazustehen. Trotzdem
war die Hälfte aller Nassauer besitzlos.3) Der Landmann war seit 1808 von
der Leibeigenschaft befreit. Auch der Acker gehörte ihm. Er konnte ihn kaufen
und verkaufen. Aber auf dem Zehntacker ruhte als Schuld, als Last, als eine
Hypothek der Zehnte. Der derzeitige Besitzer musste den Zehnten an den Be-
rechtigten abführen. Wurde ein solches Grundstück verkauft, dann wurde ein
Spottpreis dafür geboten; denn jeder Bauer war vorsichtig und zurückhaltend
beim Erwerb solch belasteter Grundstücke. Der Zehnte war aber unablösbar.
Traten nun Missernten ein, dann geriet der Zehntpflichtige nicht selten in die
schwierigsten Geldverlegenheiten. Er sah sich gezwungen, Geld aufzunehmen.
Dabei geriet er den Geldwucherern in die Hände oder den Juden, die haupt-
sächlich das Geldleihgeschäft betrieben. So kam es, dass ganz bald Haus und
Hof samt den Grundstücken vollkommen verschuldet waren.4) Die Not der
Bauersleute war kaum noch tragbar. Freude an der Landbestellung war nirgends
zu finden. Der Landbewohner seufzte unter der wirtschaftlichen Not. Dieser
trostlose Zustand schleppte sich von Jahr zu Jahr weiter, ohne dass Aussicht
auf Besserung bestand.
So lange Herzog Wilhelm regierte, geschah gegen diesen Übelstand nichts.
Als 1839 Herzog Adolf seinem Vater auf den Thron folgte, hatte er sich ent-
schlossen, das Hauptübel der Bauernverarmung zu beseitigen, um der wirt-
schaftlichen Not der Mehrzahl seiner Untertanen abzuhelfen. Zu dem Zwecke
erliess er am 20. Januar 1840 das Edikt, die Ablösung des Zehnten betreffend.5)
Der damalige Minister von Walderdorff stellte eine genaue Berechnung für die
Zehntablösung auf. Danach sollte die Ablösung im vollen Werte geschehen.6)
Ein Aufatmen ging durch ganz Nassau. Der Landesfürst hatte die erste Bresche
in den Zehnten geschlagen. Viele Landbewohner bemühten sich, nach diesem
Modus den Zehnten loszuwerden. Wenn es auch nur wenigen gelang, endlich
zehntfrei zu werden, so sahen doch die Nassauer ein, dass ihr Herzog erkannt
hatte, was die Landleute am meisten drückte. Das Volk sah den guten Willen
’) Freie Zeitung v. 19. Juli 1848.
2) Freie Zeitung v. 8. Juli 1848.
3) Freie Zeitung v. 19. Juli 1848.
4) Freie Zeitung v. 19. Juli 1848.
8) NM 1026 u. 1028 Staatsarchiv Wiesbaden.
6) NM 1028 Staatsarchiv Wiesbaden. Sitz. Bericht v. 18. Oktober 1848.
 
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