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Verein für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung [Editor]
Nassauische Annalen: Jahrbuch des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung — 55.1935

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Heiler, Carl Ludwig: Der Herborner Student 1584-1817
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https://doi.org/10.11588/diglit.62604#0090
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Carl Heiler

liehe Geldstrafe.“ Anstatt im Karzer gute Vorsätze zu fassen, „laden sie gute
Freunde 684 zu sich, singen und schreien, saufen und spielen“, ja in einem Falle
verführte 1586 dort ein Student 685 sogar die Magd des Oekonomen der Kom?
munität, nachdem er ihr ewige Treue geschworen und versprochen hatte, er
wolle „sie mit in Krieg führen.“ Dieser Student zechte damals sogar Brannt#
wein 685* im Karzer. Auch am 8. Juli 1601 befaßte sich der Senat mit soL
chen verbotenen Karzerbesuchen und beschloß 686, „es solte hinfuro besser ufß
sich uff dem carcer gehalten werden, daß carcerati keine licents darin zu sauK
fen haben möchten.“ Aber am 20. April 1611 mußte der Pedell Johannes
Nopf aus Siegen, der übrigens als Student dieses Amt bekleidete 687, abgesetzt
werden688, weil er selbst ,,in catcere gesoffen.“ Er fühlte sich eben mehr als
Kommilitone denn als Polizist. Und wenn man dem Incarcerierten im Karzer
selbst keine Gesellschaft leisten konnte, so bezeugte man ihm wenigstens die
Anteilnahme durch Musizieren vor dem Karzer. So kam am 8. Nos
vember 1665 im Senate zur Sprache 689, daß Studenten einen Incarcerierten „die
Visite gegeben“ und „mit musikalische instrumenten vorm carcer sich bes
finden lassen.“
Auch 1750 hatte sich eine „liederliche Compagnie“ vor dem Karzer einges
funden 69°, und ebenso befaßte sich der Senat691 am 14. März 1770 mit „dem
Unfug derer Studiosorum vor dem Carcer, während daß die straffällige darin
sind.“
Genau so häufig sind aber die Fälle, wo der Student in dem ungeheizten
Karzerraum keine Gesellschaft bekam und dann auszureißen vorzog, obwohl er
sich damit der Gefahr der Relegation aussetzte 691*, weil ja der § 6 der Schuh
gesetze diese Flucht ausdrücklich verbot. Der erste Fall dieser Art 692 ereig^
nete sich am 14. September 1591. Als ein Incarcerierter, „wie billich und
brüchlich“, einen Revers unterschreiben sollte, sich zu bessern, weigerte er
sich. Schließlich „ist er inmittelst aus dem gefengnus durchs loch, dardurch
das essen gereicht wirdt, gekrochen unnd von dannen gewest.“ Bequemer
machte699 es sich einer am 31. Oktober 1664. Anstatt sich durch das Loch
in der Türe zu zwängen, lockerte er mit seinem Degen das Schloß und schlug
es dann mit einem Beil gänzlich ab. Am 11. Januar 1667 brach einer ein Loch
in die Wand 694, um durchzugehen, und am 21. Februar 1683 hatte ein an-
derer 695 in dem baufälligen Karzer „das loch nach der Stadt zu, so zuvor
ein spann lang gewesen, bis auf ein Ehlen aufgebrochen, daß nunmehr fast
zwey personen, so nicht groß sind, dardurch können.“ Und tatsächlich ge?
wann sogar einer am 2. August 1711 dadurch die Freiheit 696, daß er „das
Dach zerbrochen“, wobei ihm Kommilitonen mit einem Beile halfen.
Einmal berichten die Akten, wie 1792 ein aus Frankfurt stammender Stu-
dent aus der Stadt ausreißen wollte, ohne die über ihn verhängte Karzerstrafe
abzusitzen. Es mißlang ihm aber, weil seinem Hospes befohlen wurde, seine
„Effecten bis auf weitere Verfügung so gewiß zurückzuhalten und in Verwahr
rung zu nehmen, als man sich andernfalls an ihn halten“ werde, und ebenso
wurde dem 'Posthalter Koch verboten, den Studenten oder seine Effekten in
den Postwagen aufzunehmen.696*
Wir hören auch nur einmal von dem feierlichen Abzug eines R e 1 e >•
gierten 696** aus dem Jahre 1591. Er benutzte dazu die 3 Classicen, deren
Pädagoge er gewesen war, und suchte zuletzt noch den Rektor zu verhöhnen.
Denn er hatte, „wie er von hinnen ziehen wollen, seine drey discipuln ge>-
stiffelt unnd gespornt uff geferttigten Pferden für ihm hero durch die Stadt
reitten lassen, auch als er gegen des Rectoris Behausung kommen, seinen gaul
trotzig gesprengt.“
Die schlimmste Strafe war naturgemäß die Relegation, bei der man
auf zweierlei Weise verfuhr, entweder durch stillschweigende Entfern
n u n g aus der Stadt, von der man höchstens dem Elternhause Mitteilung
 
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