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Verein für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung [Hrsg.]
Nassauische Annalen: Jahrbuch des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung — 75.1964

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Schell, Günther: Die römische Besiedlung von Rheingau und Wetterau: eine historisch-geographische Untersuchung
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https://doi.org/10.11588/diglit.70355#0097

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Die römische Besiedlung von Rheingau und Wetterau

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daß die Vermutung von einer durchschnittlichen Distanz von 1000 bis 1500 m
zwischen zwei Villen durch archäologische Beweise zur Tatsache wird.
C. Andere zivile Siedlungen
Mehr als zwei Jahrhunderte lang waren die Landschaften des Rheingaus und
der Wetterau in das Machtbereich des Imperium Romanum eingegliedert. Nach
den anfänglichen Gründungen der Erd- bzw. Holz-Erdkastelle wurden diese
Garnisonen während der 1. Hälfte des 2. Jahrhunderts an den neu erstellten Grenz-
wall zur militärischen Sicherung des eroberten Gebietes verlegt und in den dort
errichteten Steinkastellen untergebracht. In ihrem Schutz entstanden nach und
nach die bereits besprochenen Gutshöfe; doch machten diese Anwesen in ihrer
Gesamtheit nur einen Teil des tatsächlichen Siedlungsbildes aus: neben ihnen
gab es noch eine Reihe anderer ziviler Niederlassungen, die sowohl in Form
vereinzelter Anlagen als auch in konzentrierten Ansammlungen innerhalb des
Limesgebietes auftraten. Diese verschiedenen Bauten bzw. Bauansammlungen
sind nun im folgenden zu besprechen, jedoch sollen sie nur soweit berücksichtigt
werden, als sie in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den umliegenden
villae rusticae stehen.
I. An erster Stelle sind hier die vici zu erwähnen, „Dörfer“ „auf militär-
fiskalischem Grund und Boden“171) vor den Toren eines Kastells, jedoch von
einer rein zivilen Bevölkerung bewohnt. Vor allem waren es die Händler und
Wirte, die hier in der Nachbarschaft des Lagers ihre Stände aufschlugen und aus
dem Kaufzwang der Soldaten ihren Profit zogen; denn sowohl in den republi-
kanischen Heeren als auch in den stehenden Heeren der frühen und mittleren
Kaiserzeit war von vornherein die Truppenverpflegung so organisiert, daß der
Soldat einen Teil seiner Nahrungsmittel, in erster Linie Speck, Käse und die
Getränke, bei den zum regulären Gefolge der Truppen gehörigen Marketendern
kaufen mußte172). Später siedelten sich die Frauen und Kinder der Kastell-
besatzungen an; auch mancher entlassene Veteran ließ sich in den canabae
nieder, wenn er nach Abschluß seiner Dienstzeit nicht mehr in die Heimat
zurückkehren wollte. Geist und Sitte innerhalb dieser Lagervororte waren der
Ordnung und Aufsicht des jeweils zugehörigen Kastells unterstellt. Wie weit die
in den englischen Lagerdörfern nachgewiesene Selbstverwaltung173) auch für die
Wetterau zutrifft, ist nicht klar ersichtlich; staatsrechtlich gab es zu römischer
Zeit keine canabae, sie gehörten lediglich zum territorium der Kastelle174) und
kamen und verschwanden — mit Ausnahme von Wiesbaden und Heddernheim —
mit ihren zugehörigen Kastellen. Mit dem Anwachsen der Bevölkerung dürften
wohl auch verschiedene Gewerbe und Handwerkszweige in diesen dorfartigen
Siedlungen ansässig geworden sein; und so drängt sich jetzt die Frage auf, ob
sich eine auf den landwirtschaftlichen Erwerb ausgerichtete Gruppe, ähnlich der
in heutigen Dörfern wohnenden Bauern, innerhalb des Lagerdorfes angesiedelt
hat. Falls dies zutrifft, handelte es sich nicht um die Besitzer ausgedehnter
Ackerflächen, sondern vermutlich um Pächter, die ihre in der Nähe des Kastells
gelegenen Acker vom Lagerdorf aus bestellten. Es ist kaum denkbar, daß die
canabae lediglich von Familienangehörigen des Militärs, Kaufleuten und Hand-
werkern besiedelt waren; vielmehr darf auf Grund der dort ansässigen Veteranen
angenommen werden, daß auch eine gewisse landwirtschaftliche Betätigung von
hier ausgegangen sein muß, denn gerade die Veteranen werden ja immer wieder
als die Begründer der ackerbaulichen Blüte dieses Gebietes angesehen. Außerdem
konnte das territorium legionis mit seinen Wiesen und Weiden von den Soldaten-
familien gepachtet werden; zwar mußte ein bestimmter Teil des Ertrages an
das Kastell abgeliefert werden, der Überschuß verblieb jedoch dem Pächter als
171) Pauly-Wissowa 1899 VI Sp. 14 5 3. — 172) Kromayer-Veith S. 528.
173) Hafemann 1956 S. 88. — 174) Bohn S. 32.
 
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