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Verein für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung [Hrsg.]
Nassauische Annalen: Jahrbuch des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung — 75.1964

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https://doi.org/10.11588/diglit.70355#0331

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VI. Kirchen- und Schulgeschichte

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kann nicht mit ungleichmäßiger Erhaltung von Archivgut in den Jahren der Urkundenkopie
durch die Klosterschreiber erklärt werden. Vielmehr liegen hier andere Voraussetzungen vor: Vom
überhöhischen Gebiet bis zur Lahn hin muß im 8. und 9. Jh. mit einer nur sporadischen Besied-
lung gerechnet werden, der Landesausbau ist hier erst das Werk des Hochmittelalters; in den Alt-
siedellanden an Rhein und Main, die agrargeschichtlich durch einen damals bereits jahrhunderte-
alten Weinbau und vielleicht auch Intensivkulturen bestimmt sind, haben sich Rechtsstrukturen
ausgeformt, die ein Eindringen von Lorscher Besitz verhindert haben. Zwar liegen keinerlei andere
Quellen vor, aus denen man positiv eine Zuweisung dieser Regionen ablesen könnte; doch ist es
nicht fehlgegriffen, wenn hier mit dem mehr oder minder geschlossenen Bestand von Reichsgut
seit der fränkischen Eroberung gerechnet wird. Im grundherrschaftlichen Bereich muß außerdem
eine vielleicht schon recht frühe Initiative der Mainzer Kirche angenommen werden. Die jüngste
Forschung hat solche Abläufe der Entwicklung sehr wahrscheinlich gemacht, allerdings auch
darauf hingewiesen, daß man eigentlich erst seit dem 10. Jh. hier zu sicheren Aussagen kommen
kann (vgl. bes. Wolfgang Klötzer, Mark und Haingericht im Rheingau, in: Nass. Ann. 65, 1954
S. 94—129; 66, 1955 S. 194—219; 67, 1956 S. 144—57. — Barthold Witte, Herrschaft und Land
im Rheingau. Meisenheim 1959). Jedenfalls ist die Annahme unabweisbar, daß die Reichsabtei
Lorsch ebenso wie Fulda nur in den Gebieten Eigen erhalten konnte, in denen eine für solche Tra-
ditionen disponierte Grundbesitzerschicht vorhanden war und wo die Menschen nicht in eine groß-
räumige Organisationsform von Königsgerechtsamen einbezogen worden waren. Die Besitz-
topographie von Lorsch bietet gleichsam spiegelbildlich Indizien für die frühmittelalterliche Ge-
schichte des Krongutes.
Im Maingau liegen die für unseren Bereich frühesten Traditionen von 766 an (3 S. 129—36
Nr. 3408—59), drei Jahre später setzen die Übereignungen in Lahngau und Wetterau ein (ebd.
S. 181—256 in vermischter Zählung der Doppelabschriften), seit 770 ist auch der Niddagau ver-
treten (ebd. S. 118—29 Nr. 3315—3407). Im gesamten Bereich von der oberen Lahn zwischen
Taunus und Vogelsberg bis zum Main liegen rund 450 Schenkungen vor. Das ist vergleichsweise
wenig. Denn in Worms-, Speyer-, Lobden- und Oberrheingau ist mit einem fünffach größeren und
oft auch in sich dichteren Besitzzuwachs zu rechnen. In diesem Verhältnis ist nicht nur die un-
mittelbare Nachbarschaft zum Kloster mit der damit gegebenen leichten Möglichkeit einer Wall-
fahrt und der Besitzzuweisung am Grabe des hl. Nazarius in Anschlag zu bringen. In erster Linie
spielten wohl familiengeschichtliche Zusammenhänge oder auch der Mangel an solchen Bindungen
eine Rolle (auf derartige Probleme weist besonders eindringlich L. Clemm in seiner Rezension des
von E. E. Stengel 1956 abgeschlossenen ersten Bandes des Fuldaer Urkundenbuches hin: Gött.
Gel. Anz. 211, 1957 S. 118—34, bes. 130 ff.). Lahngebiet und Wetterau waren die beiden Regionen,
in denen sich Lorscher und Fuldaer Besitzexpansionen am intensivsten überkreuzten. Hier sei
beispielsweise nur auf Eschbach und mehrere Orte in der Umgebung von Friedberg und Gießen
hingewiesen. Bezeichnend für Lörschs Ausgreifen ist etwa auch die Vergabe von Nazariusreli-
quien an die Kirche von Haiger (3 S. 192). Die Hubenlisten (3 S. 168ff. u. 176ff.) ergänzen die
Traditionen und zeigen in vielen Fällen die inneren Umgestaltungen des Klosterbesitzes an. Auf
den Ertrag solcher Nachrichten für die Agrargeschichtsforschung braucht hier nur mit dieser
kurzen Bemerkung hingewiesen zu werden.
Diese wenigen Beispiele mögen genügen, um darzutun, in wie vielfältiger Art der Codex
Laureshamensis besonders für die östlichen Gebiete des nassauischen Raumes von Bedeu-
tung ist. Die Neuherausgabe hat ihn jetzt wieder allgemein zugänglich gemacht. Dafür sei der
Hessischen Historischen Kommission Darmstadt, besonders ihrem 1. Vorsitzenden Ludwig
Clemm, gedankt. A. Gerlich
Wolf Erich Kellner: Das Reichsstift St. Bartholomäus zu Frankfurt am Main im Spätmittelalter.
Frankfurt a. M.: Waldemar Kramer 1962. 176 S. (Studien zur Frankfurter Geschichte, hrsg. vom
Frankfurter Verein f. Geschichte und Landeskunde, 1.) Br. DM 14,—.
Die Arbeit ist eine Dissertation aus der Schule Heinrich Büttners, der in Mainz eine Reihe von
Studien zur Geschichte der Mainzer Stifte angeregt hat. K. ist ein Marburger Schüler; doch setzt
er die Mainzer Reihe mit seinen Untersuchungen in glücklicher Weise fort. Mit besonderem
Interesse beachtet er die rechtshistorischen Probleme und verfolgt die Bedeutung des Frank-
furter Stifts im Leben der Stadt und in der umgebenden Landschaft. St. Bartholomäus war so
innig mit der Stadt verbunden, daß seine Geschichte kaum jemals an und für sich interessiert hat.
Es ist erst spät in seiner Eigenart untersucht und dargestellt worden, wobei man sich meistens
auf Einzelstudien beschränkte. K. greift bis in das frühe Mittelalter zurück und versucht die spär-
lichen Zeugnisse zu deuten: Man vermutet heute eine Siedlungskontinuität in der Gegend zwischen
dem heutigen Dom und dem Römer von der Römerzeit zum Mittelalter, wenn auch die ersten
Nachrichten erst aus der Zeit Karls d. Großen überliefert sind, der 794 eine Synode zu Frankfurt
abhielt. Die heutige Bartholomäuskirche ist die alte Stiftskirche, die an der Stelle der 852 ge-
weihten Pfalzkapelle steht. Das Stift wurde durch Ludwig den Deutschen begründet; die Tradi-
tion des späten Mittelalters, nach der Karl d. Große als Gründer galt, wird von K. als Legende
zurückgewiesen.
Aus der späten Nachricht über die Eichgerechtigkeit des Propstes schließt K. auf markt-
richterliche Funktionen, die in früher Zeit dem Stift zustanden, und er stellt die Frage, „ob wirt-
schaftliche und gerichtliche Funktionen des Stifts im 12. Jh. in den Aufbau der neuen Stadt mit-
 
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