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Rehm, Clemens [Hrsg.]; Becht, Hans-Peter [Hrsg.]; Hochstuhl, Kurt [Hrsg.]
Baden 1848/49: Bewältigung und Nachwirkung einer Revolution — Oberrheinische Studien, Band 20: Stuttgart: Thorbecke, 2002

DOI Kapitel:
Brandt, Hartwig: Das Großherzogtum Baden in der Geschichte des 19. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.52737#0015

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HARTWIG BRANDT

- längst hinter sich gelassen hatten. Zwischen die Regionen und den prospektiven Natio-
nalstaat schoben sich Österreich und Preußen und der von ihnen zum Instrument zuge-
richtete Deutsche Bund. Es gab Kontinuitätsstränge, die von den Zeiten des Ancien re-
gime ins 19. Jahrhundert herüberreichten, und es gab Abgründe, welche die Zeitalter
trennten. Zu jenen zählte, dass die Ordnung der deutschen Verhältnisse unter dem Vor-
behalt internationalen Vertragsrechts stand und dass es seit dem Ende des Siebenjährigen
Krieges zwei Vormächte in Deutschland gab, die an der europäischen Politik teil hatten.
Zu diesen gehörte, dass die Rolle des »Dritten Deutschland« sich wandelte. War die nicht-
österreichische und nicht-preußische Staatenwelt des Ancien regime kleinräumig und
kleinherrschaftlich organisiert und in der Mehrzahl ihrer Vertreter auch technisch-admi-
nistrativ im Herkommen befangen, lebte sie in Symbiose mit einem Reichsverband, der
schon wie ein Petrefakt in die neue Zeit hinein ragte, so stellten die Staaten des vorge-
nannten dritten Typus, der Trias, im 19. Jahrhundert die Speerspitze des Fortschritts oder
doch des verfassungspolitischen Fortschritts dar.
Da war zunächst der Deutsche Bund, jene große Ordnung der politischen Verhält-
nisse, durch die sich die deutsche mit der europäischen Welt verband. Nach einem frühen
Plan sollte er eine Ordnung sein, die dem Modernismus der napoleonischen Staaten
Grenzen zog und die Rechte des mediatisierten Reichsadels wiederherstellte. Die Mittel-
staaten, die Gewinner der Napoleonzeit, sollten im Innern durch refeudalisierte Stände-
vertretungen geschwächt und im Deutschen Bund durch einen Rat der Kreisdirektoren
majorisiert werden. Indes haben sich solche Vorstellungen, Denkprodukte des Anfangs,
der ersten, der rückwärts gewandten Phase des Wiener Kongresses, dann doch nicht
durchgesetzt. Die Rechtsordnung, die 1815 beschlossen wurde, war ganz anders konstru-
iert: Eine Konföderation, ein Bund ohne Staatsoberhaupt, ohne Parlament und ohne
höchste Gerichtsbarkeit, nominell ein Fürstenverein, eine Landfriedensordnung, eine
Verteidigungsgemeinschaft, bei Lichte besehen. Seine verfassungspolitische Signatur er-
hielt dieses Gebilde freilich erst 1819, als Österreich und Preußen, in antiliberaler Kom-
plizenschaft sich vereinigend, aus ihm ein Kondominium formten. Die Metternichsche
Politik, die nach 1819 auch für jene Preußens stand, ja dabei in dieser ihren eigentlichen,
ihren ersten Anwalt und Vollstrecker erhielt, sie ist unter zwei Gesichtspunkten zu prü-
fen - jedenfalls insofern, als sie den deutschen Verhältnissen galt. Sie war erfolgreich
darin, dass sie den Weg der Ausbildung mitteleuropäischer Nationalstaaten blockierte.
Aber den deutschen Regionalstaaten die Verfassungspläne auszutreiben, war ein Unter-
fangen, das ihr misslang. Der Plan, den Parlamentarismus in die Schranken herkömm-
lichen Ständetums zu verweisen, scheiterte, weil er den Lebensinteressen der napoleo-
nisch geprägten Mittelstaaten zuwider lief. So fügten es die Umstände, dass die
konstitutionelle Freiheit die Disziplinierung von Karlsbad überstand. Sie war durch das
monarchische Prinzip, welches Metternich ihr einimpfte, über Strecken gelähmt, aber sie
rettete den Verfassungsstaat über die 20er Jahre.
Man hat gesagt, dass der frühe Konstitutionalismus unvollkommen, defizitär gewesen
sei. Und dies ist nicht falsch. Aber viel bedeutsamer erscheint doch dagegen, dass er nicht
zum Opfer der Verhältnisse wurde, dass er unter widrigen Umständen überlebte. Immer-
hin aber: Es war nicht die Großmacht, welche zum Förderer des Konstitutionalismus
wurde. Es war die Region, der Regionalstaat, mehr noch: Diese wurde zum Protektor des
Liberalismus, sorgte dafür, dass er in den parlamentarischen Kammern eine politische
 
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