Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Rehm, Clemens [Editor]; Becht, Hans-Peter [Editor]; Hochstuhl, Kurt [Editor]
Baden 1848/49: Bewältigung und Nachwirkung einer Revolution — Oberrheinische Studien, Band 20: Stuttgart: Thorbecke, 2002

DOI chapter:
Leuenberger, Martin: ...in freier republikanischer Erde... Die Rolle der Schweiz für die Revolution und die Revolutionäre
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.52737#0212

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
... in freier republikanischer Erde ...
Die Rolle der Schweiz für die Revolution
und die Revolutionäre
VON MARTIN LEUENBERGER

Als Schweizer kann einem nie ganz wohl sein, wenn die Rede auf Flüchtlinge und Fremde
kommt. Ein bisschen peinlich wird es, wenn auch noch Europa als Thema dazu kommt.
Denn die Schweiz funktioniert heute zu sehr nach dem Motto: Wir Schweizer sind schon
recht, aber die Welt meint es schlecht mit uns! Die Schweizerinnen und Schweizer müssen
aufpassen, dass sie nicht die Integration der Schweiz in Europa verpassen. Sie dürfen nicht
immer ein Bild der sich selbst genügenden Schweiz bemühen, einer eigentlichen fast schon
autistischen Gemeinschaft, die von lauter Fremdem bedroht wird.
Und eines ist überhaupt nicht zulässig. Zu behaupten nämlich, dass sich diese swiss Iso-
lation aus der Geschichte der Schweiz ableiten lasse und die einzige angepasste Haltung
für dieses kleine, von lauter feindseligen Kräften eingekreiste Land sei. Da halte ich es lie-
ber mit Ludwig Börne, der 1828 zu Schillers Wilhelm Teil bemerkte: Wenn er sagt: Der
Starke ist am mächtigsten allein, so ist das nur die Philosophie der Schwäche1. Die Schwä-
che dessen, der unfähig ist, sich in ein Bündnis mit anderen einzubringen.
Damals, vor über 150 Jahren, war die Schweiz nicht isoliert! Es war genau umgekehrt.
Sie genoss einen wunderbaren Ruf im Europa jener Jahrzehnte, die man dann den Völker-
frühling nannte. Die Schweiz und die Bergwelt, das waren zwei Begriffe, welche in unzäh-
ligen Salons hochgehalten und gepriesen wurden. In der gebildeten Welt war die Bergwelt
zum Symbol von Naturwüchsigkeit, Gesundheit, Schönheit und Kraft geworden. In
unzähligen Gedichten ist dieses Loblied der Berge wiederzufinden. Es ist kein Zufall,
dass der deutsche Dichter Friedrich Schiller das Schweizer Nationaldrama Wilhelm Teil
schrieb. Die Berge und ihre raue, aber aufrechte Welt vermittelten den Schweizern den
Ruf, sie seien ein Volk von lauter Gleichen. Die Schweiz, das Land und seine Politik, wur-
den zum Bollwerk der Freiheit2. Sie war sozusagen wortwörtlich »salonfähig« geworden.
Um dieses Land der Berge und der Freiheit kreisen die folgenden Gedanken. Mit ein
paar Bemerkungen zur Geschichte der Schweiz in jenen Jahrzehnten soll verdeutlicht
werden, aus welchen Gründen die Schweiz zum Vorbild der deutschen Demokraten von
1848 und zu einem wesentlichen Teil ihres Exils wurde.
1 Zitiert nach: L. Börne, Spiegelbild des Lebens, Aufsätze zur Literatur ausgewählt von M.
Reich-Ranicki, Frankfurt a. M. und Leipzig 1993, S. 159.
2 Vgl. D. Gamboni und G. Germann (Hgg.) unter Mitwirkung von E de Capitani, Zeichen der
Freiheit. Das Bild der Republik in der Kunst des 16. bis 20. Jahrhunderts, Bern 1991, S. 395.
 
Annotationen