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Rehm, Clemens [Hrsg.]; Becht, Hans-Peter [Hrsg.]; Hochstuhl, Kurt [Hrsg.]
Baden 1848/49: Bewältigung und Nachwirkung einer Revolution — Oberrheinische Studien, Band 20: Stuttgart: Thorbecke, 2002

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Brandt, Hartwig: Das Großherzogtum Baden in der Geschichte des 19. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.52737#0014

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Das Großherzogtum Baden
in der Geschichte des 19. Jahrhunderts

VON HARTWIG BRANDT

Dass kultureller Fortschritt und verfassungspolitische Phantasie in Europa eher in den
Regionen siedelten als im transregionalen Nationalstaat, ist am deutschen Beispiel mit
Gewinn zu studieren. Dass das Europäische im Regionalen seine eigentliche Entspre-
chung findet, ist seit langem ein bemühter Topos in einschlägigen Debatten. Freilich ist
der historische Regionalismus in Deutschland nicht zu haben, ohne dass man auch seine
Schwächen erwägt. Denn die deutsche Staatenlandschaft des Ancien Regime war, jeden-
falls jenseits der Großmächte, anarchisch beschaffen und, namentlich für englische und
französische Augen und Ohren, immer ein Grund des Nicht-Verstehens, wenn nicht ein
Abgrund des Grauens. Erst Hegel schien ihnen dieses Land verständlich zu machen, am
Ende vielleicht allzu verständlich, wo er dem preußischen Staat die bekannte welthistori-
sche Führerschaft attestierte.
Aber auch 1815 noch, auf dem Wiener Kongress, als die napoleonische Flurbereinigung,
der Umsturz der alten Ordnung geprüft und in seinen Grundzügen bestätigt wurde, kam
noch ein Grand design zustande, welcher dem monokolor-nationalstaatlichen Westeuro-
pas durchaus widerstrebte. Wohl gab es das berühmte preußische Blau und das habsburgi-
sche Ockergelb auf den Atlanten, welches noch Generationen später topografische Aufklä-
rung verschaffte. Aber es blieben Gemengelagen im Thüringischen und Staaten en
miniature in beträchtlicher Streuung über das Ganze zurück, stehengebliebene Schildwa-
chen der napoleonischen Planierung. Im Gegensatz zu ihren entsouveränisierten Vettern,
den Standesherrn, wie sie nun hießen, die als privilegierte Untertanen überlebten, vermoch-
ten sie ihre Selbständigkeit zu behaupten: die Souveräne von Hessen-Nassau, Hessen-
Homburg, Waldeck, die anhaltinischen Kleinfürstentümer, die beiden Lippe, die hohenzol-
lerischen Außenposten im Schwäbischen, Hechingen und Sigmaringen. Die Aufführung ist
durchaus nicht vollzählig. Diese Gebilde, so sehr sie sich nach den Symbolen und Formen
der Zeit auch streckten, sie waren Staaten auch jetzt nur in einem ganz vordergründigen
Sinne. Zwischen ihnen und den Großmächten aber figurierte ein dritter Typus, die Mittel-
staaten, die Staaten der Trias, wie man sie auch schon nannte. Für einen kurzen Augenblick
nach 1815 schienen sie das bundespolitische Heft an sich zu reißen. Aber 1819, spätestens
1823 war es damit vorbei.
Es zählt zu den Eigentümlichkeiten der deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts,
dass die staatlich-konstitutionelle Moderne durch zwei Großmächte unter Kuratel gehal-
ten wurde, die ihren politischen Avantgardismus - des 16. bzw. des 17./18. Jahrhunderts
 
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