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Rehm, Clemens [Hrsg.]; Becht, Hans-Peter [Hrsg.]; Hochstuhl, Kurt [Hrsg.]
Baden 1848/49: Bewältigung und Nachwirkung einer Revolution — Oberrheinische Studien, Band 20: Stuttgart: Thorbecke, 2002

DOI Kapitel:
Leuenberger, Martin: ...in freier republikanischer Erde... Die Rolle der Schweiz für die Revolution und die Revolutionäre
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https://doi.org/10.11588/diglit.52737#0221

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216

MARTIN LEUENBERGER

Zwielicht. Er rügte denn auch, dass auch hin und wieder Einwohner des hiesigen Kantons
den Aufenthalt von Flüchtlingen verheimlichen11. Das Verhältnis der Bevölkerung zu den
Flüchtlingen scheint recht gut gewesen zu sein. Im großen Ganzen war man den 1848ern
wohlgewogen. Gegenüber den ausländischen, eloquenten Advokaten wurde doch hin
und wieder auch Futterneid erkennbar. Man nannte sie rasch einmal Wortverdreher, weil
sie der Schriftsprache mächtiger waren als die einheimischen Rechtsgelehrten. 1848 war
dennoch alles etwas anders. Selbst den vertriebenen Juden aus dem Elsass bot man einen
Sommer lang Hilfe an. Später wurde das Klima dann wieder rauer. Doch da war die Revo-
lution schon vorbei und vorüber. Die meisten deutschen Flüchtlinge verließen nach und
nach die Schweiz. Vielleicht war ihnen die Schweiz als neue Heimat zu eng. Der Horizont
eines friedlichen, frommen Schweizertälchens wie Georg Herwegh ihn dem Wilhelm
Schulz aus Darmstadt vorwarf - wie Herwegh ebenfalls Basellandschaftlicher Bürger
geworden, - schien den meisten zu hemmend, zu kleinkrämerisch, ein zu steiniger Boden.
Manche von ihnen wendeten ihren Rock, hängten die Fahne nach dem Wind, andere blie-
ben standhaft und träumten den Traum anderswo weiter. So blieb denn die Schweiz für die
deutschen Demokraten von 1848/1849 nur eine Episode in ihrem Leben. Immerhin eine
nicht unwichtige, das darf man, glaube ich, so sagen.
Die Schweiz hat sich als Asylland gehalten. Nach den 48er kamen die Communards
aus Paris. Während der letzten Jahre des vorigen Jahrhunderts war sie als Refugium des
Anarchismus ganz tauglich. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts wussten sich russi-
sche Bolschewik! und Menschewiki gut aufgehoben. Aber auch für Deserteure aus den
Armeen des 1. Weltkriegs bot die Schweiz Unterschlupf. Und während des Elends des
Faschismus flohen Unzählige in die Schweiz und fanden Asyl. Da die offizielle Schweiz
ihre wilden Sturm und Drangjahre von anno 1848 längst hinter sich hatte, traten Private an
ihre Stelle und halfen, so gut es eben ging. Für die Flüchtlinge macht es schließlich keinen
Unterschied, woher die Hilfe kommt.
Noch immer sieht einer der besten und treuesten Diener, den die Revolution hatte,
Georg Herwegh, in Liestal von seinem Denkmal herab. Auf seinem Grabstein auf dem
Liestaler Friedhof, auf welchem er zusammen mit Emma Herwegh bestattet liegt, steht es
in Stein gemeißelt: Von den Mächtigen verfolgt, Von den Knechten gehasst, Von den Meis-
ten verkannt, Von den Seinen geliebt11’.
Am Schluss ist dann der Bogen wieder zum Anfang zurückzuschlagen. Die Schweiz
läuft Gefahr, aus lauter isolationistischer Selbstbeduselung von Europa abgehängt zu wer-
den. Es tut dann ganz gut, zu wissen, dass es eine Zeit gab, in der es für einen Dichter der
europäischen Revolution wie Georg Herwegh ein tiefer und inniger Wunsch war, in freier
republikanischer Erde bestattet zu sein.

22 StABL Politisches Dl, Deutsche Flüchtlinge, Auszug aus dem Protokolle des Regierungsrates
des Kantons Baselland vom 28. August 1849, No. 2839.
23 Vgl. M. Leuenberger/H. R. Schneider, Kommen Sie zu uns nach der Landschaft, in Basel ist
keine Luft für Sie! Die Revolution in Baden und die Flüchtlinge im Baselbiet, in: Basler Stadtbuch
1998, Basel 1999, S. 237-242.
 
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