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I.

Dieser mein Aufsatz erschien in der Frankfurter Zeitung, in der Kunstauktion auf deutsch und auf
englisch, und in der Prager Zeitung Bohemia, unter dem Titel „Sens unique“.

Die Frankfurter Zeitung gab dem Aufsatz folgende Worte mit: „Mit der großen Provinzzeitung, die
Flechtheim im Plural auftreten läßt, sind wohl wir, nämlich die Frankfurter Zeitung, gemeint. In welcher
Art die Frankfurter Zeitung den Dienst an der lebenden Kunst ohne Unterbrechung vollzieht, dürfte
auch in Berlin gemerkt werden, obzwar augenblicklich der regelmäßige Kunstbericht aus Berlin des-
halb unterbrochen ist, weil wir in Berlin keinen Referenten finden und ihn in der Provinz suchen
müssen. Ferner halten wir es für unsere Pflicht, Herrn Flechtheim als einem dezidierten Interessenten
an der neuen Kunst entgegenzuhalten, daß es außer der Dossena-Blamage noch Blamagen gibt, die
mit der Vorliebe für alte Kunst nichts zu tun haben, z. B. Blamagen des dernier cri. Zudem sind wir
nicht dafür, das man die Hygiene vergangener Jahrhunderte ausspielt gegen Dinge, die sich außerhalb
der Hygiene abspielen. Das ist uns zu einfach. Trotzdem: wir wünschen, daß seine Trommel gehört werde.“

Was versteht eigentlich die Frankfurter Zeitung unter Dernier cri? Dernier cri ist von ihr selbst
geschildert in dem Anna Schmid’schen Aufsatz „Der China-Löwe in deiner Seele“.*) (1 7. Febr. 1929.)

4) Der China-Löwe in deiner Seele...

Berlin, im Februar 1929.
_ Das Bismarck-Denkmal zu Berlin: — „die 6,6 m hohe Bronzegestalt des Fürsten, im Kürassierüberrock, wie er im alten Reichs-
tag zu erscheinen pflegte, die Rechte über der Urkunde der Reichsgründung gespreizt . . . hinten Siegfried als Schmied des
Reichsschwertes, rechts ein kriegerisches Weib (Staatsgewalt) einen Panther (Aufruhr!) niedertretend, links auf einer Sphinx eine
in einen Folianten vertiefte Frau (Staatsweisheit). Zu beiden Seiten Wasserbecken . . .“

Auch ohne Baedecker ist heute, 28 Jahre nach seiner Fertigstellung, eine intensive Besichtigung dieses Denkmals zu empfehlen.

Und von hier ist es nicht weit — räumlich und seelisch! — bis zu jenem Viertel, das modernem Kunstvertrieb und der „Innen-
architektur für Tonangebende“ geweiht ist. — Am besten nimmt man den Weg hierher durch die Siegesallee, und wenn man
glaubte, die herausfordernden Marmorgespenster seien definitiv tot, so entdeckt man bald, daß sie blühender denn je wieder
auferstanden sind, daß sie nur Namen und Gestalt gewechselt haben und sich heute Louis XVI. oder „Alt-China“ nennen anstatt
Sigismund oder Ottokar der Furchtbare!

Hier, im Viertel der großen Welt, füllen diese Phantome ganze Verkaufspaläste vom Keller bis unters Dach.

Es soll hier nicht die Rede sein von guten alten Kunstwerken oder Möbeln, die erfahrene Händler an Kenner oder Museen

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