Lieber Herr Dr. Valentiner,
Danke für Ihren Brief, ich habe diesen Morgen vergeblich versucht, Sie ans Telephon zu rufen, nun
schicke ich für alle Fälle noch diesen Rohrpost-Brief, obwohl Wolde Ihnen gewiß schon meinen
Vorschlag für diesen Nachmittag vermittelt hat. Ich frühstücke in Nikolassee bei Leo von König und
kann nicht genau sagen, wann ich zurück sein werde, deshalb bat ich Sie, nicht den Weg zu mir
zu machen, Sie würden sonst leicht in die Lage kommen, im Esplanade zu der Stunde, da es am unan-
genehmsten ist, im Thee-Gedräng’, auf mich warten zu müssen. Vielmehr komme ich zu Ihnen, spätestens
gegen halb sechs, denk ich, und freue mich, die Photographien mit Ihnen anzusehen und überhaupt
auf eine ruhige gemeinsame Stunde.
Ihr
herzlich ergebener
R. M. Rilke
Um dem Dichter nicht Unrecht mit der Wiedergabe dieser flüchtigen
Zeilen zu tun, füge ich hier noch einen Brief anderen und ernsteren
Inhaltes aus wenig späterer Zeit an, der, mit größerer Ruhe geschrieben,
im besonderen Maße die schöne Sorgfalt erkennen läßt, mit der Rilke
seine Gedanken zu formulieren pflegte. Es ist die Antwort auf einen
Aufruf, den ich ihn zu unterzeichnen gebeten hatte:
München, Ainmillerstraße 34 IV
am 19. Februar 1919
Verehrter Herr Dr. Valentiner!
Sie sollen nicht meinen, daß mir das Vorkommen Ihres Namens unter
einem Aufruf, der vor mehreren Wochen eintraf, entgangen ist; ich
habe sogar die persönlich von Ihnen darunter geschriebenen Grüße
mit ganz besonderer Freude aufgenommen; denn ich bewahre Ihnen
die deutlichste und herzlichste Erinnerung.
Nun hätte ich also die arge Unhöflichkeit meines Nicht-Antwortens und
Nicht-Zustimmens zu rechtfertigen. Unter allen damals .eintreffenden
verwandten Aufforderungen wäre mir die von Ihnen und einigen mir
als bedeutend bekannten Männern vertretene die überzeugendste ge-
wesen, und es hat mich gefreut, daß Sie mich diesem Kreise anzu-
schließen wünschen konnten. Aber am Ende habe ich doch immer eine
unüberwindliche Abneigung, meinen Namen irgendwo erscheinen zu
sehen. wo er nicht mit einer Arbeit zusammensteht; etwas bloß mit
ihm zu verantworten, dazu mag ich ihn nicht selbstständig genug
auffassen.
Nun hätte ja hier, können Sie sagen, hinter dieser Namensammlung
auch eine gemeinsame Leistung der sich zusammenschließenden ge-
standen: gewiss. Aber an der mitzuarbeiten wäre mir vielleicht un-
möglich gewesen. So sehr ich jetzt den Antrieb und Anlaß, sich zu
verbünden, zugeben muß-, was mich angeht: mich haben die Kriegs-
jahre in so tiefe innere Verstörung gestürzt, daß ich bekenne
(auf die Gefahr hin, damit eine äußerste Schwäche einzugestehen)
erst noch eine beginnende Arbeit an und in mir nötig zu haben,
bevor ich einige verfügliche Kräfte nach außen anwenden dürfte.
Das, mein verehrter Herr Doktor, war der Grund meines Nicht-Ant-
wortens ; daß ich ihn Ihnen so spät darstelle, liegt an Hemmnissen
und Verhinderungen, die teils mit der Zeit, teils mit meiner nicht
Daphne, 1930, Museum Lübeck sehr guten Gesundheit zusammenhingen.
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Danke für Ihren Brief, ich habe diesen Morgen vergeblich versucht, Sie ans Telephon zu rufen, nun
schicke ich für alle Fälle noch diesen Rohrpost-Brief, obwohl Wolde Ihnen gewiß schon meinen
Vorschlag für diesen Nachmittag vermittelt hat. Ich frühstücke in Nikolassee bei Leo von König und
kann nicht genau sagen, wann ich zurück sein werde, deshalb bat ich Sie, nicht den Weg zu mir
zu machen, Sie würden sonst leicht in die Lage kommen, im Esplanade zu der Stunde, da es am unan-
genehmsten ist, im Thee-Gedräng’, auf mich warten zu müssen. Vielmehr komme ich zu Ihnen, spätestens
gegen halb sechs, denk ich, und freue mich, die Photographien mit Ihnen anzusehen und überhaupt
auf eine ruhige gemeinsame Stunde.
Ihr
herzlich ergebener
R. M. Rilke
Um dem Dichter nicht Unrecht mit der Wiedergabe dieser flüchtigen
Zeilen zu tun, füge ich hier noch einen Brief anderen und ernsteren
Inhaltes aus wenig späterer Zeit an, der, mit größerer Ruhe geschrieben,
im besonderen Maße die schöne Sorgfalt erkennen läßt, mit der Rilke
seine Gedanken zu formulieren pflegte. Es ist die Antwort auf einen
Aufruf, den ich ihn zu unterzeichnen gebeten hatte:
München, Ainmillerstraße 34 IV
am 19. Februar 1919
Verehrter Herr Dr. Valentiner!
Sie sollen nicht meinen, daß mir das Vorkommen Ihres Namens unter
einem Aufruf, der vor mehreren Wochen eintraf, entgangen ist; ich
habe sogar die persönlich von Ihnen darunter geschriebenen Grüße
mit ganz besonderer Freude aufgenommen; denn ich bewahre Ihnen
die deutlichste und herzlichste Erinnerung.
Nun hätte ich also die arge Unhöflichkeit meines Nicht-Antwortens und
Nicht-Zustimmens zu rechtfertigen. Unter allen damals .eintreffenden
verwandten Aufforderungen wäre mir die von Ihnen und einigen mir
als bedeutend bekannten Männern vertretene die überzeugendste ge-
wesen, und es hat mich gefreut, daß Sie mich diesem Kreise anzu-
schließen wünschen konnten. Aber am Ende habe ich doch immer eine
unüberwindliche Abneigung, meinen Namen irgendwo erscheinen zu
sehen. wo er nicht mit einer Arbeit zusammensteht; etwas bloß mit
ihm zu verantworten, dazu mag ich ihn nicht selbstständig genug
auffassen.
Nun hätte ja hier, können Sie sagen, hinter dieser Namensammlung
auch eine gemeinsame Leistung der sich zusammenschließenden ge-
standen: gewiss. Aber an der mitzuarbeiten wäre mir vielleicht un-
möglich gewesen. So sehr ich jetzt den Antrieb und Anlaß, sich zu
verbünden, zugeben muß-, was mich angeht: mich haben die Kriegs-
jahre in so tiefe innere Verstörung gestürzt, daß ich bekenne
(auf die Gefahr hin, damit eine äußerste Schwäche einzugestehen)
erst noch eine beginnende Arbeit an und in mir nötig zu haben,
bevor ich einige verfügliche Kräfte nach außen anwenden dürfte.
Das, mein verehrter Herr Doktor, war der Grund meines Nicht-Ant-
wortens ; daß ich ihn Ihnen so spät darstelle, liegt an Hemmnissen
und Verhinderungen, die teils mit der Zeit, teils mit meiner nicht
Daphne, 1930, Museum Lübeck sehr guten Gesundheit zusammenhingen.
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