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I.

Die Skulpturen der Burgkirche.
T m Jahre 1399 erbauten die Dominikaner des Lübecker Burgklosters an
JL ihrer Kirche einen neuen Chor. Dieses Gebäude erhielt als erstes in
Lübeck Figurenschmuck aus Stein. Dabei war es das letzte in der Reihe
der Kirchen der Stadt. Als es aufwuchs, standen alle übrigen Gottes-
häuser so wie noch heute, stand überdies das Rathaus, stand auch der
Mauerring, wennschon mit schlichteren Toren. Bauten waren aus der
Erde gewachsen, die durch ihre Zahl, ihren Umfang und ihre Bedeutung
Lübeck zur Vormacht des baltischen Kulturkreises gemacht hatten.
Daß diese gotische Architektur auf monumentale plastische Deko-
ration so gut wie völlig verzichtete — ihre ärmlichen Stuckfriese und Stuck-
kapitelle wird niemand mit der Großplastik des Hausteingebiets ernstlich
vergleichen wollen — hatte verschiedene Ursachen. Keineswegs freilich
die eine, daß die Skulptur überhaupt erst nach der Mitte des 14. Jahr-
hunderts in Lübeck aufgeblüht sei, wie es von dem Historiker Sigfrid
H. Steinberg auf Grund psychologisch - soziologischer Überlegungen
jüngst behauptet worden ist, denn diese Hypothese wird durch die
vielen Bildschnitzernamen in den lübeckischen Urkunden des 13. und
des frühen 14. Jahrhunderts genugsam widerlegt*). Vielmehr trifft die
Wahrheit am ehesten doch wohl jene althergebrachte Meinung, die
Armut der Landschaft an brauchbarem Gestein habe das Ausbleiben
der Steinskulptur in Lübeck verursacht. Freilich mag man bald aus der
Not eine Tugend gemacht haben. Wie nämlich die Entwicklung der
Architektur erkennen läßt, wurde später mit klarem Willen auf reiche
Dekorationsformen Verzicht geleistet zugunsten einer schnellen Durch-
führung der begonnenen Riesenbauten. Zu der Strenge der klassischen
Backsteingotik hätte die feine Zierlichkeit von Hausteinskulpturen über-
dies nicht gepaßt — nur natürlich, daß deren Fehlen während des 14. Jahr-
hunderts in Lübeck zu einer festen Tradition wurde.
Welchen Kräften es gelang, solche materiellen und geistigen Wider-
stände zu überwinden, wem es Lübeck zu verdanken hat, daß es in
letzter Stunde noch einen Ableger der Figurenkunst des Hausteingebiets
in seine Mauern aufnehmen konnte, das wissen wir nicht. Alles
') Hansische Geschichtsblätter 1928. S. 35. Vgl. die Liste bei Goldschmidt (1) und
Struck (16).

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