Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Statuette im St.-Annen-Museum, die der Meister der astronomischen Uhr
ebenfalls um 1415 gefertigt haben muß.
Dieser Künstler hat eine wichtige Rolle in der Geschichte der
lübeckischen Kunst gespielt. Aufgewachsen in den Traditionen der
lübeckischen Bildschnitzer, hatte er sich eben deren Stil und Geschäfts-
praxis angeeignet, als seine Vaterstadt zum erstenmal ein Werk der
monumentalen Steinskulptur innerhalb ihrer Mauern erstehen sah. Der
junge Meister erwies sich der großen Gelegenheit gewachsen: er machte
sich mit der neuen Technik vertraut und begründete in Lübeck eine ein-
heimische Steinbildhauerschule, ohne deswegen sein altes Handwerk und
dessen konstituierende Gewohnheiten, Seßhaftigkeit und Export, auf-
zugeben. So schuf er einen in Lübeck zuvor unbekannten Werkstätten-
typus, der unter seinen Händen ein willfähriges Instrument einer starken,
vielseitigen Künstlerindividualität werden sollte, und brach damit freie
Bahn für einen ungeahnten Aufschwung der lübeckischen Skulptur.
Seine Name ist bekannt: er hieß Johannes Junge.

III.
Die bemalten Kreuzigungsreliefs in Anklam,
Ratzeburg, Schwerin und Lübeck.


ährend der Burgkirchenmeister die monumentale Kathedral-

V V skulptur nach Lübeck verpflanzte und Johannes Junge der neu-
erstandenen lübeckischen Steinskulptur die Kräfte der einheimischen
Holzschnitzertradition zuführte, bereicherte unmittelbar neben ihnen ein
dritter Künstler die junge Schule um die Errungenschaften der Malerei.
Er führt nach den von ihm geschaffenen steinernen Passionstafeln
in der Marienkirche zu Anklam, im Dom zu Ratzeburg, im Schwe-
riner Museum und im Lübecker St.-Annen-Museum den Namen „der
Meister der bemalten Kreuzigungsreliefs". Sein Oeuvre ist zuerst von
Goldschmidt zusammengestellt und dann von Annie Pescatore in einer
trefflichen Monographie behandelt worden.
Seine Altäre sind gleichsam gemalte Tafeln in Stein. Sie halten
sich frei von der traditionellen Beschränkung auf die menschliche
Gestalt, die ein Grundgesetz der mittelalterlichen Skulptur ist. Sie gönnen
der Landschaft, der Vegetation und der Tierwelt vollauf Raum neben
den Figuren, aufgeschlossen dem unerschöpflichen Reichtum charakte-
ristischer Naturformen"). Sie geben den Menschen in kleinem Maßstab
6) Neben den Menschen, Engeln und Teufeln der traditionellen Kirchenkunst erscheinen
an den Kreuzigungsreliefs als gleichberechtigte Gegenstände der Darstellung: allerlei Getier,

17

2
 
Annotationen