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Madonna erinnert, wie Pinderfestgestellt hat, an böhmische Ideal-
typen und an Meister Hartmanns Madonna in Ulm, seine Stralsunder
Madonna kopiert das schlesische Schema der Madonna in Thorn und
Bonn, wie seit der Arbeit von Paul^') bekannt ist.

VIII.
Das Birgittenbild in Vadstena und das Taufbecken
in Ratzeburg.
(Alterswerke von Johannes Junge).
*F*"\ as Bekenntnis des Lettnermeisters zu einer bürgerlichen Kunstauf-
-^—^fassung blieb nicht ohne Folgen für die Entwicklung der lübecki-
schen Skulptur. Formuliert in einem Brennpunkt städtischen Lebens
am Vorabend der entscheidenden Siege einer neuen volkstümlichen
Kunst, hatte es Schwergewicht genug, um selbst den Wortführer der
älteren Richtung in seinen Tendenzen zu beirren, ja ihn zu überzeugen.
Johannes Junge war noch wandlungsfähig, als er 1427 mit dem Annenbild
zu Vadstena das klassische Meisterwerk der höfischen Spätgotik Nord-
osteuropas schuf und in seiner Werkstatt das erste große Dokument,
bürgerlicher Gesinnung, den Lettnerzyklus der Marienkirche, entstehen sah.
Wahrscheinlich hoch in den Vierzigern, hatte er noch ein halbes Men-
schenalter zu leben und zu schaffen: 1440 ist sein spätestes erhaltenes
Werk datiert, 1446 war er schon tot^). Er hat in diesen Jahren seine
Kunst unter dem Einfluß seines Schülers grundlegend verändert. Davon
legt nicht so sehr sein letztes Werk Zeugnis ab — das Taufbecken
von 1440 in Ratzeburg, dessen Bischofsfigürchen vielleicht nach
einem alten Modell aus seinem Besitz gegossen ist —, als das große
Sitzbild der heiligen Birgitta in Vadstena aus dem Jahre 1435. Es ist ein
Werk von verblüffender Originalität. Eine Bäuerin mit plumpen Zügen
und derbem Kleide, die der Offenbarung kindlich ungebärdig entgegen-
lacht — so volkstümlich anschaulich hatte man den innerlichsten Vorgang
im Leben einer vornehmen Heiligen zuvor nie zu schildern gewagt!
Der Ausdruck dieser Nonne hat eine ganz neue dramatische Spannung,
ihr Typus in seiner rassenmäßigen, ständischen und zeitlichen Bindung
eine extreme individualistisch-realistische Note, ihr Gewand und ihre
Jahrbuch d. PreuB. Kunstsamml. XXXXLV, 1923, S. 166.
"*) Sundische und lübische Kunst, Berlin 1914, S. 61.
Vgl. oben S. 29.

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