KLINGERS PENELOPE
IN DER KUNST gibt es seit kurzem eine ganze Reihe von
Wiedergeburten. Der längst eingeschlafene Steindruck ist
zu neuen Thaten erwacht, und neuerdings haben die Künstler
auch wieder zum Holzschnitt gegriffen, den sie, selbst
schneidend, zu einer Bedeutung erhoben haben, die ihre
Werke mit den japanischen Blättern und mit den deutschen
Helldunkelholzschnitten des 16. Jahrhunderts wetteifern lässt.
In Paris, London, München, Dresden, überall begegnen wir
täglich neuen Versuchen im künstlerischen Farbendruck. Am
glücklichsten sind jedenfalls die Versuche auf Stein aus-
gefallen, da bei diesem Material die Herstellung einer be-
lebten modellierten Farbenfläche nun einmal am leichtesten
möglich ist, und der Schein der Wirklichkeit, nach dem die
Farbe drängt, am ehesten erreicht werden kann.
Aber auch die Kupferstecher fangen an, sich mit der Farbe
zu beschäftigen. In verschiedener Weise haben einige Pariser
Künstler wie Delätre, Maurin und Andere interessante, mehr
oder minder glücklich gelungene Arbeiten geliefert, wenn-
gleich die Kupferplatte sich für die Erzeugung von Ton-
flächen viel spröder erweist als der lithographische Stein.
Am schwierigsten wird der Farbendruck für denjenigen
Kupferstecher, der nur mit Linien arbeitet; eigentlich hat
blos Raffaelli darin Erfolge zu verzeichnen. Wie die Linie
der echten Radierung überhaupt mehr anregt und andeutet,
so giebt die farbige Linie auf den Drucken von Raffaelli auch
nur skizzenhaft und suggerierend die Farbe der Gegenstände
wieder.
Dass sich Klinger früher oder später dem Farbendruck
zuwenden würde, war bei dem künstlerischen Ideal, das ihm
bisher bei seinen Werken vorgeschwebt zu haben scheint,
vorauszusehen. Dieses Ideal möchte, gleich dem Komposit-
kapitell, die Formen der verschiedenen Stile zu einem neuen
Ganzen verbinden. In Klingers Skulpturen ist das plastische
Element nur der Orgelpunkt, über dem eine Melodie von
farbigem Reize, eine vom geistigen Inhalt, eine von der
Zeichnung, zu Harmonien verbunden, anklingen. In seinen
Oelbildern wiederum bildet die Farbe nur den Stamm, welcher
durch den Schmuck von Elementen, die aus der Plastik der
Poesie und der Zeichnung herübergenommen sind, belaubt
und belebt worden ist. In seiner graphischen Kunst endlich,
hat es ihm nie genügt, irgend ein einziges Mittel, zum Beispiel
die einfache Linie der Radiernadel, zu einem reinen Stil
durchzubilden. Man begegnet vielmehr auf den frühesten
Blättern schon Strichradierung in Verbindung mit Acruatinta,
zeichnerische mit malerischer Wirkung vereint. Dies steigert
sich bis zu seiner jüngsten Folge, von der manche Blätter vier
verschiedene Techniken auf einer Platte vereint zeigen. Die
Losung ist Wirkung, ohne Rücksicht auf die Mittel.
So ist auch das vorliegende Blatt, obwohl Klingers erster
grösserer Versuch in Farben, gleich mit allen Chikanen her-
gestellt; es ist entstanden durch den Uebereinanderdruck von
zwei Kupfer- und vier Steinplatten.
Ehe sich Klinger entschloss, diese Komposition zu einem
Festblatt für Leuckart zu verwenden, hatte der Künstler
augenscheinlich eine Penelope im Sinn. Nach dem antiken
Muster einer Vase in Chiusi ist die ganze Einrichtung des
Webstuhles geschaffen.
Aus der hehren griechischen Frau ist eine Personifikation
der Natur geworden.
Von der Arbeit ablassend, in der herabfallenden Rechten
den Einschlag, das lange übersponnene Weberschiffchen an
die Kniee gelehnt, ist sie vor dem Werk, das sie im Verlauf
von unfassbaren Zeiten gewoben hat, in Nachdenken ver-
sunken, und betrachtet stumm ihr Werk, das grosse Wunder...
Ist es nicht unsagbar, dass wir, selbst nur eine Stufe,
selbst nur ein Erzeugnis, zum Herrscher über alles was uns
vorausging, was neben uns her schreitet, geworden sind!
Wir, mit im Grunde ärmlichen Körperkräften ausgestattet,
kennen keine Schrecken der Wildheit mehr! Kann man
nicht für die Zukunft fast abenteuerlich kühne Hoffnungen
hegen, -wenn man bedenkt, was wir schon gethan, wie
wir das gesammte Leben auf dem Erdball uns dienstbar
gemacht oder verdrängt haben, wie wir Berge versetzen,
Klüfte füllen, Meere austrocknen; ja, wie wir elementaren
Gewalten wie Sonnenglut und Eiseskälte gebieten können!
Wohl mag die betroffene grübelnde Frau, ihr Auge auf
den unscheinbaren Anfang, auf die hülflosen Lebenskeime
heften, von denen solch eine wunderbare Entwickelung aus
ging-
Für einen der Sieger in dem Unterjochungskampfe, den wir
gegen die übrige Welt führen, ist dieses Blatt als Dankesgabe
gedacht. Seine Waffen waren nicht gegen die offenkundigen
Gefahren der brutalen Gewalt, sondern gegen die heim-
tückischen menschlischen Parasiten, die das Auge nicht
erblicken kann, gerichtet. Im Erkennen der naturwissen-
schaftlichen Resultate und deren Beobachtung sind wir
gegen frühere Zeitalter gar nicht einmal so weit fort-
geschritten: aber im Verfolgen der Ursachen gilt ein Jahr
unserer Tage mehr als viele hundert früher. An diesem Werk
hat der berühmte Zoologe Leuckart mit unermüdlichem Eifer
und blendendem Erfolg gearbeitet.
C 3+i 3
IN DER KUNST gibt es seit kurzem eine ganze Reihe von
Wiedergeburten. Der längst eingeschlafene Steindruck ist
zu neuen Thaten erwacht, und neuerdings haben die Künstler
auch wieder zum Holzschnitt gegriffen, den sie, selbst
schneidend, zu einer Bedeutung erhoben haben, die ihre
Werke mit den japanischen Blättern und mit den deutschen
Helldunkelholzschnitten des 16. Jahrhunderts wetteifern lässt.
In Paris, London, München, Dresden, überall begegnen wir
täglich neuen Versuchen im künstlerischen Farbendruck. Am
glücklichsten sind jedenfalls die Versuche auf Stein aus-
gefallen, da bei diesem Material die Herstellung einer be-
lebten modellierten Farbenfläche nun einmal am leichtesten
möglich ist, und der Schein der Wirklichkeit, nach dem die
Farbe drängt, am ehesten erreicht werden kann.
Aber auch die Kupferstecher fangen an, sich mit der Farbe
zu beschäftigen. In verschiedener Weise haben einige Pariser
Künstler wie Delätre, Maurin und Andere interessante, mehr
oder minder glücklich gelungene Arbeiten geliefert, wenn-
gleich die Kupferplatte sich für die Erzeugung von Ton-
flächen viel spröder erweist als der lithographische Stein.
Am schwierigsten wird der Farbendruck für denjenigen
Kupferstecher, der nur mit Linien arbeitet; eigentlich hat
blos Raffaelli darin Erfolge zu verzeichnen. Wie die Linie
der echten Radierung überhaupt mehr anregt und andeutet,
so giebt die farbige Linie auf den Drucken von Raffaelli auch
nur skizzenhaft und suggerierend die Farbe der Gegenstände
wieder.
Dass sich Klinger früher oder später dem Farbendruck
zuwenden würde, war bei dem künstlerischen Ideal, das ihm
bisher bei seinen Werken vorgeschwebt zu haben scheint,
vorauszusehen. Dieses Ideal möchte, gleich dem Komposit-
kapitell, die Formen der verschiedenen Stile zu einem neuen
Ganzen verbinden. In Klingers Skulpturen ist das plastische
Element nur der Orgelpunkt, über dem eine Melodie von
farbigem Reize, eine vom geistigen Inhalt, eine von der
Zeichnung, zu Harmonien verbunden, anklingen. In seinen
Oelbildern wiederum bildet die Farbe nur den Stamm, welcher
durch den Schmuck von Elementen, die aus der Plastik der
Poesie und der Zeichnung herübergenommen sind, belaubt
und belebt worden ist. In seiner graphischen Kunst endlich,
hat es ihm nie genügt, irgend ein einziges Mittel, zum Beispiel
die einfache Linie der Radiernadel, zu einem reinen Stil
durchzubilden. Man begegnet vielmehr auf den frühesten
Blättern schon Strichradierung in Verbindung mit Acruatinta,
zeichnerische mit malerischer Wirkung vereint. Dies steigert
sich bis zu seiner jüngsten Folge, von der manche Blätter vier
verschiedene Techniken auf einer Platte vereint zeigen. Die
Losung ist Wirkung, ohne Rücksicht auf die Mittel.
So ist auch das vorliegende Blatt, obwohl Klingers erster
grösserer Versuch in Farben, gleich mit allen Chikanen her-
gestellt; es ist entstanden durch den Uebereinanderdruck von
zwei Kupfer- und vier Steinplatten.
Ehe sich Klinger entschloss, diese Komposition zu einem
Festblatt für Leuckart zu verwenden, hatte der Künstler
augenscheinlich eine Penelope im Sinn. Nach dem antiken
Muster einer Vase in Chiusi ist die ganze Einrichtung des
Webstuhles geschaffen.
Aus der hehren griechischen Frau ist eine Personifikation
der Natur geworden.
Von der Arbeit ablassend, in der herabfallenden Rechten
den Einschlag, das lange übersponnene Weberschiffchen an
die Kniee gelehnt, ist sie vor dem Werk, das sie im Verlauf
von unfassbaren Zeiten gewoben hat, in Nachdenken ver-
sunken, und betrachtet stumm ihr Werk, das grosse Wunder...
Ist es nicht unsagbar, dass wir, selbst nur eine Stufe,
selbst nur ein Erzeugnis, zum Herrscher über alles was uns
vorausging, was neben uns her schreitet, geworden sind!
Wir, mit im Grunde ärmlichen Körperkräften ausgestattet,
kennen keine Schrecken der Wildheit mehr! Kann man
nicht für die Zukunft fast abenteuerlich kühne Hoffnungen
hegen, -wenn man bedenkt, was wir schon gethan, wie
wir das gesammte Leben auf dem Erdball uns dienstbar
gemacht oder verdrängt haben, wie wir Berge versetzen,
Klüfte füllen, Meere austrocknen; ja, wie wir elementaren
Gewalten wie Sonnenglut und Eiseskälte gebieten können!
Wohl mag die betroffene grübelnde Frau, ihr Auge auf
den unscheinbaren Anfang, auf die hülflosen Lebenskeime
heften, von denen solch eine wunderbare Entwickelung aus
ging-
Für einen der Sieger in dem Unterjochungskampfe, den wir
gegen die übrige Welt führen, ist dieses Blatt als Dankesgabe
gedacht. Seine Waffen waren nicht gegen die offenkundigen
Gefahren der brutalen Gewalt, sondern gegen die heim-
tückischen menschlischen Parasiten, die das Auge nicht
erblicken kann, gerichtet. Im Erkennen der naturwissen-
schaftlichen Resultate und deren Beobachtung sind wir
gegen frühere Zeitalter gar nicht einmal so weit fort-
geschritten: aber im Verfolgen der Ursachen gilt ein Jahr
unserer Tage mehr als viele hundert früher. An diesem Werk
hat der berühmte Zoologe Leuckart mit unermüdlichem Eifer
und blendendem Erfolg gearbeitet.
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