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so gering, daß er kaum ausreicht, die geringsten Ausgaben zu
decken; mehr als 4—5 Mk. pro Monat beträgt er fast nie. Lohn
wird nur bezahlt, wenn das Geschäft eine zu geringe Trinkgeld-
rente abwirft, aber der Betrieb ohne eine Kellnerin nicht bestehen
kann, und wenn der Wirt zu schwer Kellnerinnen bekommt, so-
daß er also die Kellnerin durch Zurückhaltung des Lohnes zwingen
kann, zu bleiben, bis die Kündigungsfrist vorüber ist. Diese mit
dem Lohn verbundene Kündigungsfrist ist auch der Grund, war-
um von beiden Seiten der Lohn nicht gewünscht wird; denn die
Kellnerin kann dann nicht mehr Weggehen, wann es ihr beliebt,
und der Wirt kann sie nicht mehr entlassen, wann er will. Nun
aber hängt das Geschäft dadurch, daß der Typus des Stamm-
gastes immer mehr verschwindet, so sehr von der Bedienung ab,
daß eine Kellnerin, wenn sie es wollte und durch die Kündigungs-
frist es könnte, im stände wäre, das ganze Geschäft zu ruinieren.
Aus dem letzteren Grunde vor allem geben viele Wirte, wie mir
versichert wurde, keinen Lohn. Dann aber auch sagen sich viele
Wirte: »Die Kellnerin verdient durch das Trinkgeld gerade ge-
nug, warum sollen wir da noch Lohn geben? Wir spüren die
paar Mark und der Kellnerin liegt wenig daran.« Lohnzahlung
kommt sonst noch in einer anderen Form vor, besonders in den
sog. Animierkneipen und zwar in der Gestalt von Prozentanteilen
an dem Erlös der verkauften Getränke.
Die Kellnerin ist daher vollständig auf das Trinkgeld ange-
wiesen, also auf das, was der Gast ihr geben will. Sie hat
eigentlich kein Recht darauf, da der Gast ja jederzeit das Trink-
geld verweigern kann. Es muß also durch freundliche Bedienung,
durch bereitwilliges Eingehen auf die Wünsche des Gastes erbeten
werden. Der almosenartige Charakter des Trinkgeldes muß allein
schon drückend auf den Kellnerinnenstand wirken, wenn auch
die Kellnerin dadurch, daß sie Kellnerin ist, nicht zu jenen Trink-
geldjägern zu werden braucht, wie man sie oft unter ihren männ-
lichen Kollegen findet, und die Albrecht in seiner Schrift »Unser
Standpunkt zur Trinkgeldfrage« so trefflich beschreibt14). Gerade
dieses Abhängigsein von dem Wüllen des Gastes, dessen sich
beide Teile, sowohl Spender als auch Empfänger, wohl bewußt
sind, führt bei der Kellnerin zu ganz besonders sittlichen und
moralischen Folgen. Das Trinkgeld wird ein Mittel, sich dem
Mädchen zu nähern und mehr denn einmal liegt in dem Trink-

14) Albrecht. Unser Standpunkt zur Trinkgeldfrage. Frankfurt 1883.
 
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