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Petri, Grischka; Strindberg, August
Der Bildprozeß bei August Strindberg — Köln: Seltmann & Hein, 1999

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.75392#0021

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7. Rohmaterial

Meyer ist in diesem Sinne der perfekte Wissenschaftler für Strindberg,
wenn er sich auf den Standpunkt zurückzieht, man könne nur feststellen, daß
Strindberg in seiner Autobiographie »vielleicht die Wahrheit sagt oder auch
nicht.«11 Dies heißt jedoch, auf ein wichtiges Interpretationsinstrumentarium
zu verzichten. Untersucht man verschiedene flexible Elemente von Doku-
ment und Kunstprodukt, Inszenierung und Erinnerung an einem Text, wird
dieser aussagekräftiger, als wenn er als Ganzes in eine prokrustische Genre-
schublade gezwängt wird, die Strindberg ja gerade aufzulösen bestrebt ist:
Seine Texte »verdrehen die ganze Zeit die Perspektive, um etwas anderes
zu enthüllen, als die Regeln der Genres oder eine vereinfachte Rhetorik uns
erwarten lassen könnten.«12 Die Elemente von Quelle und Kunstwerk
in Strindbergs Briefen und Werken, wobei natürlich zwischen autobiographi-
schem Roman und Drama wieder Unterschiede bestehen, sind deshalb an
den Werken selbst auszumachen, nicht an übergeordneten Begriffen.13 Vor
dem Meyerschen »Vielleicht« zeichnet sich dann auch ein komplexeres, aber
auch definierteres Bild von Strindberg selbst ab.
Das gilt genauso für chronologische Einteilungen, die gerade in den Kul-
turwissenschaften Gefahr laufen, sich als Epochenbezeichnungen zu verselb-
ständigen und allerhand Unheil anzurichten, will man ein differenziertes Bild
gewinnen. »Es scheint als ob Sie noch glauben, dass man eine Menschenseele
so kompliciert wie meine in Perioden eintheilen kann«14 - im Nachhinein
oder Vorhinein spricht Strindberg da über seine Biographen und zahlreiche
Wissenschaftler, die sich in sein Leben verstrickt haben. Perioden, Konstanz,
Stetigkeit sind Fremdwörter im Umgang mit Strindberg und seiner Biogra-
phie. Er wühlt in seiner Biographie, die ihm als Material zur Verfügung steht,
und springt, variiert, greift auf, verwirft, sortiert neu, berichtet auch nur, stellt
dar, sieht sich von außen und innen und projektiert sein Leben dadurch als
einen Prozeß jenseits der objektiven Chronologie in eine eigene.15 Auch
und gerade wegen ihrer Unberechenbarkeit kann sie aber Erkenntnisse über
Strindbergs Bildprozeß liefern, denn Prozesse sind sie beide, und Kongruen-
zen sind nicht von vornherein unmöglich: »Mein ganzes Leben ist ein
Märchenbuch, mein Herr; obwohl die Märchen verschieden sind, hängen
sie doch mit einem Faden zusammen, und das Leitmotiv kehrt regelmäßig
wieder.«16 Daß der rote Faden der Biographie nicht allein für unsere Zwecke
tragfähig ist, heißt nicht, daß rote Fäden überhaupt illusorisch sind. Bei aller
inkonsistenter Veränderlichkeit ist hier und dort eine Gerichtetheit oder
»Vektorisierung« erkennbar.17 Bei der bewußten Beschäftigung mit dem Ich

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