6. Impressionismus I: Der dynamische Grundimpuls
Ich habe immer nach vorne und nach oben gewollt.
— August Strindberg
Ihm hat das Schicksal einen Geist gegeben, der ungebändigt immer vorwärtsdringt.
— J. W. Goethe, Faust
6.2 Bewegung als Axiom: »Bloß nicht stillstehenl«
Dieses Gefühl für Bewegung ist Strindbergs ureigenes. Der Vater Strindbergs,
Carl Oscar, besaß eine Schiffsagentur. Das Umfeld aus Schiffen, Dampf und
Meer hinterließ als »Deutungserlebnis« auch bei August bleibende Eindrücke:
»Eine der Erklärungen dafür, daß seine Naturschilderungen stets von rascher
Bewegung geprägt sind, besteht darin, daß er die Natur zuerst bei Dampfer-
fahrten gesehen und studiert hat.«116 Diese Deutung Lagercrantz' knüpft an
Strindberg selbst an, der über seine Kindheit schreibt:
Er sieht durch ein kleines Fenster hinaus, und jetzt sieht er grüne Strände, blaugrüne
Wellen, Heukähne und Dampfboote vorbeiziehen. Es war wie ein Panorama oder wie sie
gesagt hatten, daß das Theater sei.117
Auch die signifikant häufige Verwendung von Verbmetaphern in seinen
Schriften118 deutet auf das prozeßhafte Wesen Strindbergs. Leben ist für ihn
Prozeß: Strindberg fühlt sich dem Selbstmord nahe, wenn »es stillsteht im
Kopf« - »man wird dumm, wenn das Gehirn stillsteht und nicht zur Arbeit
von einer Hoffnung befeuert wird!«119 Diese frühe Aussage bestätigt
Strindberg im Blauen Buch von 1908 erneut:
Wahrscheinlich bin ich ein Impressionist, der ich die Bewegung, die Geste, den Ausdruck
sehe und nicht die Gegenstände.120
Jaspers' Diagnose, in der er den Begriff des Impressionismus genau dazu
benutzt, um so etwas wie das Phänomen der »Bewegung als Lebensaxiom« zu
beschreiben, entspricht der Selbsteinschätzung Strindbergs: Er »lebte impres-
sionistisch, für den Augenblick, in Schwärmerei. Er überwand, indem er ein-
fach abstieß. [...] Er suchte etwas, fand aber nirgends die lebensformende
Erfüllung, so sehr er augenblicklich befriedigt sein konnte.«121 Wegen der
Fundamentalität dieser Eigenschaft für Strindberg, die sich auch durch sein
ganzes Leben hindurch verfolgen läßt, möchte ich von ihr als dem dynami-
schen Grundimpuls sprechen: »Et il ne voit que ce qui change.«122
23
Ich habe immer nach vorne und nach oben gewollt.
— August Strindberg
Ihm hat das Schicksal einen Geist gegeben, der ungebändigt immer vorwärtsdringt.
— J. W. Goethe, Faust
6.2 Bewegung als Axiom: »Bloß nicht stillstehenl«
Dieses Gefühl für Bewegung ist Strindbergs ureigenes. Der Vater Strindbergs,
Carl Oscar, besaß eine Schiffsagentur. Das Umfeld aus Schiffen, Dampf und
Meer hinterließ als »Deutungserlebnis« auch bei August bleibende Eindrücke:
»Eine der Erklärungen dafür, daß seine Naturschilderungen stets von rascher
Bewegung geprägt sind, besteht darin, daß er die Natur zuerst bei Dampfer-
fahrten gesehen und studiert hat.«116 Diese Deutung Lagercrantz' knüpft an
Strindberg selbst an, der über seine Kindheit schreibt:
Er sieht durch ein kleines Fenster hinaus, und jetzt sieht er grüne Strände, blaugrüne
Wellen, Heukähne und Dampfboote vorbeiziehen. Es war wie ein Panorama oder wie sie
gesagt hatten, daß das Theater sei.117
Auch die signifikant häufige Verwendung von Verbmetaphern in seinen
Schriften118 deutet auf das prozeßhafte Wesen Strindbergs. Leben ist für ihn
Prozeß: Strindberg fühlt sich dem Selbstmord nahe, wenn »es stillsteht im
Kopf« - »man wird dumm, wenn das Gehirn stillsteht und nicht zur Arbeit
von einer Hoffnung befeuert wird!«119 Diese frühe Aussage bestätigt
Strindberg im Blauen Buch von 1908 erneut:
Wahrscheinlich bin ich ein Impressionist, der ich die Bewegung, die Geste, den Ausdruck
sehe und nicht die Gegenstände.120
Jaspers' Diagnose, in der er den Begriff des Impressionismus genau dazu
benutzt, um so etwas wie das Phänomen der »Bewegung als Lebensaxiom« zu
beschreiben, entspricht der Selbsteinschätzung Strindbergs: Er »lebte impres-
sionistisch, für den Augenblick, in Schwärmerei. Er überwand, indem er ein-
fach abstieß. [...] Er suchte etwas, fand aber nirgends die lebensformende
Erfüllung, so sehr er augenblicklich befriedigt sein konnte.«121 Wegen der
Fundamentalität dieser Eigenschaft für Strindberg, die sich auch durch sein
ganzes Leben hindurch verfolgen läßt, möchte ich von ihr als dem dynami-
schen Grundimpuls sprechen: »Et il ne voit que ce qui change.«122
23