[Kapitel 2] Photographie als Philosophie: Strindbergs Utilistenphase
Grundlegende Bedeutung für Strindbergs Bildprozeß kommt seiner soge-
nannten Utilistenphase in den achtziger Jahren zu.1 Auf den ersten Blick er-
scheint dies widersprüchlich, da Strindberg hier nicht malte und zahlreiche
Beiträge gegen die Kunst und ihre Legitimation überhaupt verfaßte, vom
Pamphlet bis zum Gedicht. Doch nur vor diesem konfliktträchtigen Hinter-
grund zeichnet sich der rote Faden in seinem bildkünstlerischen Schaffen seit
den Neunzigern ab. Schon in den siebziger Jahren hatte sich diese Wende
weg von der Kunst angebahnt. Er hatte durch seine Tätigkeit als Journalist die
schwedische Gesellschaft in mannigfaltigen Facetten kennen- und kritisieren
gelernt. Es wird für ihn zu einer immer wichtigeren Aufgabe, diese - unter
Oscar II. nicht gerade liberal geprägte - Gesellschaft auch zu verändern.2
Dabei mußte er die Rolle der Kunst in Frage stellen. In den Aufzeichnungen
eines Zweiflers, die etwa 1873-74 entstanden, heißt es:
weg mit den alten Lumpen wir haben keine Zeit für Formalitäten adieu Kunst - wenn
wir Zeit haben werden wir spielen - wenn wir es uns leisten können werden wir schöne
Möbel schöne Häuser schöne Tapeten und schöne Musik machen -jetzt sollen die Ideen
nach vorne die Ideen selbst.3
Die Summe seiner Journalistenzeit zog er 1879 in dem satirischen Ro-
man Das rote Zimmer, der für ihn den literarischen Durchbruch bedeutete.
Hier ist der in der folgenden Lebensphase immer wieder diskutierte Streit um
den Nutzen der Kunst skizziert, wenn Strindberg Olle Montanus in seinem
Abschiedsbrief von der Welt schreiben läßt: »Der Mensch will in der Kunst
Gott spielen, nicht daß er etwas Neues machen könnte (das kann er nicht!),
sondern es noch mal machen, verbessern, arrangieren.« Damit verurteilt er
den Hochmut, die Natur als gegebenen Maßstab mit Kunst verbessern zu
wollen.4
Nach seinem Romanerfolg hatte Strindberg sich mehr und mehr einer
sozial agitatorischen Literatur zugewandt und seine schwedische Kulturge-
schichte geschrieben: Das schwedische Volk, gedacht für die große Allgemein-
heit und reich illustriert. Ihr ließ er Das neue Reich folgen, was seinen Ruf als
radikaler Wortführer desjungen Schweden festigte.5 Seine Einstellung hatte
sich in Richtung eines Kunstideals entwickelt, das mit Kunst als Gestaltung
nicht mehr viel zu tun hatte. Der Journalist war der bessere Künstler. Er
machte als Berichterstatter die miserablen Zustände der Realität öffentlich
und sich gesellschaftlich nützlich, indem er zu Veränderungen aufrief. Es ging
nicht um Schönheit, sondern um die Durchsetzung politischer Ziele. Kunst
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Grundlegende Bedeutung für Strindbergs Bildprozeß kommt seiner soge-
nannten Utilistenphase in den achtziger Jahren zu.1 Auf den ersten Blick er-
scheint dies widersprüchlich, da Strindberg hier nicht malte und zahlreiche
Beiträge gegen die Kunst und ihre Legitimation überhaupt verfaßte, vom
Pamphlet bis zum Gedicht. Doch nur vor diesem konfliktträchtigen Hinter-
grund zeichnet sich der rote Faden in seinem bildkünstlerischen Schaffen seit
den Neunzigern ab. Schon in den siebziger Jahren hatte sich diese Wende
weg von der Kunst angebahnt. Er hatte durch seine Tätigkeit als Journalist die
schwedische Gesellschaft in mannigfaltigen Facetten kennen- und kritisieren
gelernt. Es wird für ihn zu einer immer wichtigeren Aufgabe, diese - unter
Oscar II. nicht gerade liberal geprägte - Gesellschaft auch zu verändern.2
Dabei mußte er die Rolle der Kunst in Frage stellen. In den Aufzeichnungen
eines Zweiflers, die etwa 1873-74 entstanden, heißt es:
weg mit den alten Lumpen wir haben keine Zeit für Formalitäten adieu Kunst - wenn
wir Zeit haben werden wir spielen - wenn wir es uns leisten können werden wir schöne
Möbel schöne Häuser schöne Tapeten und schöne Musik machen -jetzt sollen die Ideen
nach vorne die Ideen selbst.3
Die Summe seiner Journalistenzeit zog er 1879 in dem satirischen Ro-
man Das rote Zimmer, der für ihn den literarischen Durchbruch bedeutete.
Hier ist der in der folgenden Lebensphase immer wieder diskutierte Streit um
den Nutzen der Kunst skizziert, wenn Strindberg Olle Montanus in seinem
Abschiedsbrief von der Welt schreiben läßt: »Der Mensch will in der Kunst
Gott spielen, nicht daß er etwas Neues machen könnte (das kann er nicht!),
sondern es noch mal machen, verbessern, arrangieren.« Damit verurteilt er
den Hochmut, die Natur als gegebenen Maßstab mit Kunst verbessern zu
wollen.4
Nach seinem Romanerfolg hatte Strindberg sich mehr und mehr einer
sozial agitatorischen Literatur zugewandt und seine schwedische Kulturge-
schichte geschrieben: Das schwedische Volk, gedacht für die große Allgemein-
heit und reich illustriert. Ihr ließ er Das neue Reich folgen, was seinen Ruf als
radikaler Wortführer desjungen Schweden festigte.5 Seine Einstellung hatte
sich in Richtung eines Kunstideals entwickelt, das mit Kunst als Gestaltung
nicht mehr viel zu tun hatte. Der Journalist war der bessere Künstler. Er
machte als Berichterstatter die miserablen Zustände der Realität öffentlich
und sich gesellschaftlich nützlich, indem er zu Veränderungen aufrief. Es ging
nicht um Schönheit, sondern um die Durchsetzung politischer Ziele. Kunst
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