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Petri, Grischka; Strindberg, August
Der Bildprozeß bei August Strindberg — Köln: Seltmann & Hein, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.75392#0104

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[Kapitel s] Verdichtung: Strindbergs Ich im alchemistischen Bild-Labor

Drum hab ich mich der Magie ergeben,
ob mir durch Geistes Kraft und Mund nicht manch Geheimnis würde kund [...]
Daß ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält.
Schau alle Wirkenskraft und Samen. Und tu nicht mehr in Worten kramen.
— J. W. Goethe, Faust
Hier ist der Punkt, ebenjenes Verhältnis zwischen Ich und Natur bei
Strindberg wieder aufzugreifen, das er auf Dalarö als Erweiterungsprojekt des
Ichs betrieben und in seinen Bildern künstlerisch geschildert hatte. Er arbeite-
te nicht nur in der Kunst daran, sondern auch in den Naturwissenschaften.
Abstrakt nachgezeichnet ist der Gedankengang, der in ihm auf Dalarö
die Idee reifen läßt, die Naturwissenschaft in Angriff zu nehmen, folgender:
Die Natur wird von den Naturwissenschaften analysiert, das heißt >eingeteilt<.
Diese Einteilungen sind jedoch subjektiv.
Was bedeutet das alles? Mystik! [...] Ich habe Linnes System nicht ein bißchen dümmer
gefunden als die der anderen, oder genauso dumm wie die der anderen, denn Systeme
sind in der Natur nicht gegeben.1
Dann ist die Natur aber objektiv ungeteilt, und die naturwissenschaftlich
gezogenen Grenzen treffen nicht zu: »Alle Kräfte sind eins, alle Materie ist
eins, aber polarisch wie die Elektrizität eine [Kraft] ist.«2 Das Projekt muß
dann heißen, diese Unteilbarkeit der Natur zu beweisen. Es ist genau dieses
Vorhaben, das er in Berlin zu verfolgen beginnt, anstatt weiter >in Worten zu
kramen< und Literatur zu verfassen. Der realistische Forscher-Impuls verlang-
te das Seinige.3 »Sein Gedanke ertrug zur Zeit den Zwang des bildlichen Ge-
dankens nicht, wollte dem Naturgeheimnis nackt gegenübertreten.«4
Die im folgenden beschriebenen Ideen, Projekte und Produkte entstam-
men dem Zeitraum von etwa 1890 bis 1895, der also die Zeit auf Dalarö, die
Ferkel-Periode, die Heirat und Ehe mit Frida Uhl und den Beginn der soge-
nannten Inferno-Periode in Paris umfaßt.
7. Chemie... ist Alchemie... ist Poesie
Das Interesse an den Naturwissenschaften ist bei Strindberg älter als das für
Literatur. In seiner Autobiographie schreibt er über seine Begegnung mit ihr
als Zwölfjähriger: »Jetzt in der Einsamkeit des Sommers nahm er in Raserei

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