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Petri, Grischka; Strindberg, August
Der Bildprozeß bei August Strindberg — Köln: Seltmann & Hein, 1999

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.75392#0157

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4. Die Grotte

43 Per utero ad astra? - Psychoanalytische
Deutungen der Grotte

Die Psychologie deutet wiederum diese Vorstellungskraft als Symbol.
Strindbergs Grotte bildet dabei keine Ausnahme, umso mehr, als er selbst in
Wunderland den Teich als psychologischen Seelenspiegel des >gnoti seavton<
verstanden wissen wollte. Die verschiedenen Hintergründe von Inferno und
Wunderland sind angerissen worden, und Inferno macht durchaus einen
bedrohlicheren Eindruck als das eher märchenhaft anmutende Wunderland.
Über diese diffuse Bemerkung hinaus sind weitere Versuche unternommen
worden, Strindbergs Grottenmötiv psychologisch zu deuten. Ein Problem
dabei ist, daß die »psychoanalytische Ikonographie« zum Allgemeingut und -
platz geworden geworden ist: alles Längliche >steht< für den Phallus, alle
Öffnungen werden zur Vagina. Das darin liegende Mißverständnis ist falsche
Annahme einer Rege/haftigkeit, wo nur eine Interpretationsmog/ichkeit
vorliegt. Diese Möglichkeit oder Anregung muß anhand anderer »Unterstüt-
zungskriterien«, wie beispielsweise dem Rückgriff auf Mythen oder Märchen,
erst plausibel gemacht werden.61 Es kann nur davor gewarnt werden, mit
Tiefenpsychologie die mythischen und mythologischen Qualitäten eines
Kunstwerkes wegzuinterpretieren.62 Fraser beginnt auch zunächst sehr vor-
sichtig, wenn sie das Grottenmotiv bei Strindberg sexuell interpretieren
möchte, um seine Frauenfeindlichkeit in Frage zu stellen.63 Nur hat sie damit
auch schon verraten, daß sie nicht eigentlich die Bilder als solche befragen
möchte, sondern andere Ziele verfolgt.
Den Hebel setzt sie an der ersten Wiege des Kindes an. Wie berichtet,
verließ Harriet Bosse im August 1901 ihren Mann. Sie befand sich im geseg-
neten Zustand. Strindberg schrieb an sein ungeborenes Kind einen Brief,
in dem er über »die Geheimnisse des gelben Zimmers«64 nachsann. Das gelbe
Zimmer, d.h. das Schlafzimmer der Eheleute, wird beschrieben als
[...] ein leise duftender Raum unter weißen Schleiern mit gelben Wänden, gelb wie die
Sonne und Gold! [...] Und deine schöne Mutter wiegte Dich auf blauen Wellen in dem
Meer, das drei Königreiche umspült - und an den Abenden, wenn die Sonne untergehen
würde, da - im Garten saß sie und sah der Sonne ins Gesicht, um Dir Licht zu trinken
zu geben. // Kind der Sonne und des Meeres, Du schliefest Deinen ersten Schlummer in
einem kleinen roten Efeuhaus [...]65


51August Strindberg
Die erste Wiege des Kindes
Stockholm 1901

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