Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Petri, Grischka; Strindberg, August
Der Bildprozeß bei August Strindberg — Köln: Seltmann & Hein, 1999

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.75392#0158

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
[Kapitel 8] Motive als Konstanten im Bildprozeß: Die Bilder von Dörnach

Farbabbildung Seite 226

-> Abbildung 51

Die letzten Sätze spielen auf die Hochzeitsreise nach Dänemark an. Zwei
Tage später schreibt er in sein Tagebuch: »Heute habe ich gemalt!«66 Einige
Tage später berichtet er Harriet davon:
Ich habe gemalt - zu meiner Schande sei es gesagt schön - ein großes Bild, das die
»Erste Wiege des Kindes< darstellt - es ist der Öresund im Sonnenuntergang mit Kullen
und Nakkehoved [ein Leuchtturm, der von Hornbek, dem Ziel der Hochzeitsreise, zu
sehen ist] - eingefaßt in grün und Blumen, und im Goldrahmen! Darf ich es Ihnen für
Ihre Garderobe schenken?67
Und da er allmählich immer weniger Hoffnung hat, seine dritte Ehe
zu retten, schlägt er ihr vor: »Nimm nun diese zwei Erinnerungen: >Die erste
Wiege oder der letzte Sonnenstrahl<«.68 Mit dem Sonnenstrahl ist wieder
Harriet gemeint, wie aus seinem Tagebuch hervorgeht: »Sie war der letzte
Sonnenstrahl in meinem Leben«.69
Die Umstände, unter denen das Bild zustandegekommen ist, können
also als gut dokumentiert gelten, wie auch Strindbergs esoterische Deutung.
Diese ist bei weitem nicht so offen wie in der Wunderland-Grotte, sondern
trägt ziemlich feste Bedeutungen und Erinnerungen mit sich, die allerdings
selbst wieder zwei Seiten haben: erste Wiege oder letzter Sonnenstrahl.
Der Themenkomplex, um den es im Gemälde geht, steht jedoch außer Frage.
Ebenso sind die Gegenstände des Briefes vorhanden: der Efeu, die Sonne,
die blauen Wogen des Meeres, die gelbe Farbe der Sonne und des Schlafzim-
mers... Aus dem Bild läßt sich so eine symbolistische Seelenlandschaft
ablesen, eine visuelle Umarbeitung des Briefes an den Nasciturus. Das Wald-
innere aus dem Wunderland wird zu einem blühenden Garten oder einem
efeuüberwachsenen Fenster.70
Bereits das Wunderland ist als Venusgrotte aus Wagners Tannhäuser in-
terpretiert worden, zuerst - laut Essay über den Zufall - von Strindbergs Frau,
von Sylvan schließlich mit einer »moralischen Abstufung«.71 Entscheidend
dafür war möglicherweise eine falsche Übersetzung des Essays über den
Zufall im künstlerischen Schaffen: statt »nebelhafte Wesen< hieß es »schändli-
che Wesen<.72 Fraser knüpft jedoch an die Tatsache an, daß Harriet Bosse
schwanger war, als die erste Wiege entstand, und Frida Uhl schwanger war,
als Strindberg das Wunderland malte - beides Laubgrottenmotive, deren
gebärmütterliche Symboleigenschaft er unbewußt ausgenutzt haben soll.
Es sei »sicherlich nicht zu esoterisch, Ormuzds Königreich als Gebärmutter
und den Auszug der Seelen als Metapher für die Geburt zu interpretieren.«73

130
 
Annotationen