[Kapitel 9] Im Inferno: Ein Bildreaktor brennt durch
-> Farbabbildung Seite 226
Der nächste Schritt für Strindberg ist nun, den destillierten Bildprozeß aus
seinem Kunstreservat heraus in die Wirklichkeit expandieren, den Skogssnu-
vismus auf das Universum los zu lassen.1 In der Einleitung zu Sylva Sylvarum
schreibt er 1896:
Dieses Buch handelt von der großen Unordnung und von dem unendlichen Zusammen-
hang. / Siehe hier mein Universum, wie ich es geschaffen habe, wie es sich für mich
offenbart hat. / Pilgerer, der du vorbeiwanderst, wenn du mir folgen willst, wirst du freier
atmen, denn in meinem Universum herrscht die Unordnung, und das ist die Freiheit.2
Diese skogssnuvistische Freiheit will er in Paris entdecken und an der
Stadt ausprobieren. In seinem ersten Aufsatz, den er in Frankreich angekom-
men schreibt, wird dieses Programm sehr deutlich. Es klingt zunächst wie
eine Bildbeschreibung für das Wunderland, wenn er erzählt:
Ich stehe auf und gehe gen Osten der Sonne entgegen, in die Richtung, wo der Wald sich
lichtet. Schon erkenne ich zwischen den dichtsitzenden Blättern der jungen Buchen eine
unermeßliche Helligkeit; am Waldrand angelangt, sehe ich nichts anderes als eine un-
endliche graubläuliche Weite, und ich bleibe vor dem Nichts stehen! // Ist dies das Meer,
das Ende der Welt, Chaos? [...] Es ist wirklich Paris... Sei gegrüßte
Die ich rief, die Geister, werd' ich nun nicht los.
— J.W. Goethe, Der Zauberlehrling
1. Die Welt als >sensation detraquee<
Strindberg hatte aus Paris ein Signal bekommen, das ihn in Bewegung ver-
setzte. Im Juni 1894 wurde sein Stück Gläubiger von Lugne-Poe an der
Comedie parisienne aufgeführt. Der Theatermann telegraphierte nach
Dornach: »Repetition. Triomphe. Merci.« Für Strindberg gab es kein Halten
mehr, sein Traum, die Kulturhauptstadt der Welt zu erobern, schien ihm in
greifbare Nähe gerückt:4 »Er will nach Paris.«5 Gleichzeitig hatte er das
Gefühl, vor einer entscheidenden Phase seines Lebens zu stehen: »Ich bin
nervös wie eine Krabbe, die ihren Rückenpanzer abgeworfen hat, reizbar wie
der Seidenspinner, wenn er sich verwandelt.«6 In Paris angekommen begann
die Zeit, die er selber sein >Inferno< genannt hat und im gleichnamigen Ro-
man verarbeitete. Diese Bezeichnung ist von der Strindbergforschung auch
als einfach chronologische weiterverwendet worden.
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Der nächste Schritt für Strindberg ist nun, den destillierten Bildprozeß aus
seinem Kunstreservat heraus in die Wirklichkeit expandieren, den Skogssnu-
vismus auf das Universum los zu lassen.1 In der Einleitung zu Sylva Sylvarum
schreibt er 1896:
Dieses Buch handelt von der großen Unordnung und von dem unendlichen Zusammen-
hang. / Siehe hier mein Universum, wie ich es geschaffen habe, wie es sich für mich
offenbart hat. / Pilgerer, der du vorbeiwanderst, wenn du mir folgen willst, wirst du freier
atmen, denn in meinem Universum herrscht die Unordnung, und das ist die Freiheit.2
Diese skogssnuvistische Freiheit will er in Paris entdecken und an der
Stadt ausprobieren. In seinem ersten Aufsatz, den er in Frankreich angekom-
men schreibt, wird dieses Programm sehr deutlich. Es klingt zunächst wie
eine Bildbeschreibung für das Wunderland, wenn er erzählt:
Ich stehe auf und gehe gen Osten der Sonne entgegen, in die Richtung, wo der Wald sich
lichtet. Schon erkenne ich zwischen den dichtsitzenden Blättern der jungen Buchen eine
unermeßliche Helligkeit; am Waldrand angelangt, sehe ich nichts anderes als eine un-
endliche graubläuliche Weite, und ich bleibe vor dem Nichts stehen! // Ist dies das Meer,
das Ende der Welt, Chaos? [...] Es ist wirklich Paris... Sei gegrüßte
Die ich rief, die Geister, werd' ich nun nicht los.
— J.W. Goethe, Der Zauberlehrling
1. Die Welt als >sensation detraquee<
Strindberg hatte aus Paris ein Signal bekommen, das ihn in Bewegung ver-
setzte. Im Juni 1894 wurde sein Stück Gläubiger von Lugne-Poe an der
Comedie parisienne aufgeführt. Der Theatermann telegraphierte nach
Dornach: »Repetition. Triomphe. Merci.« Für Strindberg gab es kein Halten
mehr, sein Traum, die Kulturhauptstadt der Welt zu erobern, schien ihm in
greifbare Nähe gerückt:4 »Er will nach Paris.«5 Gleichzeitig hatte er das
Gefühl, vor einer entscheidenden Phase seines Lebens zu stehen: »Ich bin
nervös wie eine Krabbe, die ihren Rückenpanzer abgeworfen hat, reizbar wie
der Seidenspinner, wenn er sich verwandelt.«6 In Paris angekommen begann
die Zeit, die er selber sein >Inferno< genannt hat und im gleichnamigen Ro-
man verarbeitete. Diese Bezeichnung ist von der Strindbergforschung auch
als einfach chronologische weiterverwendet worden.
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