7. Die Weit als >sensation detraquee<
Strindberg hatte in der Alchemie, der Malerei und der von ihm als sol-
che gehandhabten Zwischenform Photographie ein Weltbild gewonnen und
die Unordnung des Universums (heute sagt man Entropie dazu) in allen
Disziplinen nachvollzogen. Er hatte im Labor, im Entwicklerbad und an der
Staffelei das Modell einer chaotisch schaffenden Natur erprobt, die sich allen
Systemen verweigert. Als schöpferische Kraft hatte er den Zufall erkannt.
Diese universelle Anarchie konnte für Strindberg keine endgültige sein, der
Zufall nur ein Durchgangsstadium.7 August Strindbergs Bildprozeß war an
seinem Scheitelpunkt angekommen, definiert durch die Coelestographien und
die Gemälde von Dornach und Paris, wo er anfänglich noch malte. An seinen
Jugendfreund Gustaf Eisen, der ihn seinerzeit auf die Idee gebracht hatte zu
malen, schreibt er: »Ich lebe davon, Bilder zu malen, was Du mir auch beige-
bracht hast!«8 Seine Malerei war nicht nur ein Mittel, um den Weltzustand
festzustellen, sondern zeigte auch, wie die Welt imaginativ zu deuten sein
kann. Hier schuf seine »unerschöpfliche, unerhört üppige Phantasie [...]
zwischen den einfachsten Dingen Zusammenhänge, die durch ihre Tiefe
überraschten; dennoch konnte man sich nie des unangenehmen Gefühls er-
wehren, in all diesen Feuerwerken und Fanalen seines Denkens stecke etwas
Unheimliches.«9 Das Unheimliche kam nun in Paris zum Ausbruch. Bisher
hatte er mit dem Zufall gearbeitet. Jetzt begann der Zufall mit ihm zu arbei-
ten. Aus dem Spiel wurde ernst.
Es war nicht mehr nur so, daß der Mensch die Phantasie durch die Natur
anregte und genießen konnte, sondern jetzt gab es auch die »schwarzen
Dämonen der Einbildung«, die ein Eigenleben entwickeln konnten.10 Diese
Entwicklung läßt sich teilweise als Wiederentdeckung verdrängter Eigenschaf-
ten und Impulse oder als deren Ausbau verstehen. Zum einen ist einmal
mehr sein »impressionistischer Impuls< der Bewegung als Lebensform zu
nennen. Dieser verstärkte seine Disposition zur Assoziation, wobei er wieder
einmal einen kulturhistorischen Vorgang zu seinem eigenen machte: Nach
Asendorf begünstigt die höhere »impressionistische« Lebensgeschwindigkeit
eine Wahrnehmung, »bei der der Wahrnehmende und das Wahrgenommene
außerhalb von konkreten Handlungszusammenhängen stehen.«11 Hieraus
ergibt sich, befreit von den alten und vorgeschriebenen Verknüpfungen, die
Möglichkeit neuer Assoziationen. Asendorf nennt in einem Atemzug den
»permanenten Wandel< und die »Entsprechung alles Vorhandenen, das nicht
in separate Identitäten zerteilt ist, sondern sich immer wie im Kaleidoskop
neu formiert«12 und macht hier auf das synallagmatische Verhältnis zwischen
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Strindberg hatte in der Alchemie, der Malerei und der von ihm als sol-
che gehandhabten Zwischenform Photographie ein Weltbild gewonnen und
die Unordnung des Universums (heute sagt man Entropie dazu) in allen
Disziplinen nachvollzogen. Er hatte im Labor, im Entwicklerbad und an der
Staffelei das Modell einer chaotisch schaffenden Natur erprobt, die sich allen
Systemen verweigert. Als schöpferische Kraft hatte er den Zufall erkannt.
Diese universelle Anarchie konnte für Strindberg keine endgültige sein, der
Zufall nur ein Durchgangsstadium.7 August Strindbergs Bildprozeß war an
seinem Scheitelpunkt angekommen, definiert durch die Coelestographien und
die Gemälde von Dornach und Paris, wo er anfänglich noch malte. An seinen
Jugendfreund Gustaf Eisen, der ihn seinerzeit auf die Idee gebracht hatte zu
malen, schreibt er: »Ich lebe davon, Bilder zu malen, was Du mir auch beige-
bracht hast!«8 Seine Malerei war nicht nur ein Mittel, um den Weltzustand
festzustellen, sondern zeigte auch, wie die Welt imaginativ zu deuten sein
kann. Hier schuf seine »unerschöpfliche, unerhört üppige Phantasie [...]
zwischen den einfachsten Dingen Zusammenhänge, die durch ihre Tiefe
überraschten; dennoch konnte man sich nie des unangenehmen Gefühls er-
wehren, in all diesen Feuerwerken und Fanalen seines Denkens stecke etwas
Unheimliches.«9 Das Unheimliche kam nun in Paris zum Ausbruch. Bisher
hatte er mit dem Zufall gearbeitet. Jetzt begann der Zufall mit ihm zu arbei-
ten. Aus dem Spiel wurde ernst.
Es war nicht mehr nur so, daß der Mensch die Phantasie durch die Natur
anregte und genießen konnte, sondern jetzt gab es auch die »schwarzen
Dämonen der Einbildung«, die ein Eigenleben entwickeln konnten.10 Diese
Entwicklung läßt sich teilweise als Wiederentdeckung verdrängter Eigenschaf-
ten und Impulse oder als deren Ausbau verstehen. Zum einen ist einmal
mehr sein »impressionistischer Impuls< der Bewegung als Lebensform zu
nennen. Dieser verstärkte seine Disposition zur Assoziation, wobei er wieder
einmal einen kulturhistorischen Vorgang zu seinem eigenen machte: Nach
Asendorf begünstigt die höhere »impressionistische« Lebensgeschwindigkeit
eine Wahrnehmung, »bei der der Wahrnehmende und das Wahrgenommene
außerhalb von konkreten Handlungszusammenhängen stehen.«11 Hieraus
ergibt sich, befreit von den alten und vorgeschriebenen Verknüpfungen, die
Möglichkeit neuer Assoziationen. Asendorf nennt in einem Atemzug den
»permanenten Wandel< und die »Entsprechung alles Vorhandenen, das nicht
in separate Identitäten zerteilt ist, sondern sich immer wie im Kaleidoskop
neu formiert«12 und macht hier auf das synallagmatische Verhältnis zwischen
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