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zur Selbständigkeit beschlagen. Er hatte ein sehr geschätztes Urteil über Architektur,
Skulptur und Malerei, und in der Mnsik, selber ein gewandter Klavierspieler und
Kenner des besten Teiles der Litteratur, konnte er nach jeder Richtung hin seinen
Mann wohl stellen. Heute noch, nach wehr als einem Vierteljahrhundert, denke
ich mit einen, Gefühle des Behagens daran zurück, wie dieser klare, belesene Kvpf
in seinen geistreichen Vorträgen — er dozierte förmlich — auf seinen häufigen Ab-
stechern in die Aestethik die schwierigsten Stoffe der Kunst so anschaulich zu behandeln
wußte. Wenn er dann z. B. vergleichende Betrachtungen über die Künste anstellte,
ihre geschichtliche Entwickelung in markigen Zügen vorführte und den roten Faden
bloßlegte, nm den sie sich bis zur Gegenwart weiter rankten, wenn er auf die
großen Meister zu sprechen kam, ans ihre Vorgänger und Nachfolger, ihre Ueber-
kommnisse und Hinterlassenschaften, ihre Vorzüge und Schwächen, wenn er auf das
Wesen des Schönen und seine wechselnden Gestaltungen im Laufe der Jahrhunderte,
auf das stoffliche und geistige des Kunstkörpers, ans die hinter beiden liegende un-
erforschliche, im Wesen des Menschen begründete höhere Einheit einging, wenn er
sich dann — denn die Kunst war sein heiliges Element — so in Feuer und Flamme
hineingeredet hatte, daß man Mühe hatte, seinen Ausführungen zu folgen: da
rührte sich kein Mäuschen im Saale und alles hing an den großen leuchtenden
Augen, die sich so jugendlich-lebhaft im Kopfe drehten. Ich habe in meinem späteren
Leben die besten Werke über diese Gebiete studiert- hätte ich Reithers zerstreute
Ausführungen gesammelt und geordnet, niedergeschrieben und herausgegeben, das
Werk könnte ebenbürtig daneben bestehen!
Aber nicht nur theoretisch, auch praktisch war Neither thätig in der Musik.
Oft ließ er sich vorspielen, lobte, tadelte, griff selber in die Tasten ein und erklärte
schwierige oder falsch verstandene Stellen, immer belebend und fördernd. Neber
die geringsten Erfolge seiner Belehrungen, über ein anständig gespieltes Klavierstück,
ein artig gesungenes Lied konnte er sich freuen, daß ihm das Vergnügen auf dem
Gesichte stand. Sein Sprüchwvrt war: „In der Kunst muß man recht viel sehen,
hören und erfahren,- denn die Praxis allein ist der Schlüssel zum Verständnis der
Theorie", und in folgerichtiger Bethätignng seiner Anschauung ließ er keine Aus-
stellung, kein besseres Konzert in Speier vorübergchen, ohne seine Schüler hinein-
geführt zu haben.
Als Chorregent war er für die Aufführungen im Dome ein mitbestimmender
Faktor,- aber mit dem besten Willen war es ihm nicht möglich, so viel Zeit übrig
zu halten, als der Einsatz seiner ganzen Kraft hier erfordert hätte. Nur so viel glaube
ich behaupten zu dürfen, daß er bei längerem Leben mit flammendem Schwerte das
Schundzeng, das sich in den Kirchen breit macht und das Gute zu überwuchern
droht, daß er dieses Schundzeng aus seinem. Bistum vertrieben und daß sich auch
über den Vercinskatalvg der Cäeilianer seine Augen wie Gewitterwolken gehängt hätten!
Ganz seinen sonstigen großen Eigenschaften gleichwertig, war Reithcr ein Künstler,
ein Träger und Förderer der Musik, und es war mir ein Herzensbedürfnis, auch
diese Seite des unvergeßlichen Mannes einmal nach Gebühr vor die Oeffentlichkeit
zu bringen.
Wenn ich den seligen Direktor der Pfälzischen Eisenbahnen, den Negierungs-
direktor Albert v. Jäger, an zweiter Stelle bringe, so geschieht das nicht, nm die
künstlerische Rangordnung anzndeuten, sondern lediglich in der Notwendigkeit der
Aufeinanderfolge, da man ja zwei Herren gleichzeitig nicht dienen kann.
Jäger, einer der besten, edelsten Menschen, den die Pfalz je erzeugt hat, war
nicht nur ein tüchtiger Praktiker in der Musik, er war auch ein großer Förderer
der schönen Kunst durch seine Wohlthätigkeit im hohen Sinne des Herrn: Seine
Linke wußte nicht, was die Rechte gab! In Ausübung der Mnsik beschränkte er
sich natürlich bei seiner hohen Stellung auf das Hans und die Kirche. Die besten
Sänger aus Ludwigshafen und der nächsten Umgebung gehörten seinem Chore an,
zur Selbständigkeit beschlagen. Er hatte ein sehr geschätztes Urteil über Architektur,
Skulptur und Malerei, und in der Mnsik, selber ein gewandter Klavierspieler und
Kenner des besten Teiles der Litteratur, konnte er nach jeder Richtung hin seinen
Mann wohl stellen. Heute noch, nach wehr als einem Vierteljahrhundert, denke
ich mit einen, Gefühle des Behagens daran zurück, wie dieser klare, belesene Kvpf
in seinen geistreichen Vorträgen — er dozierte förmlich — auf seinen häufigen Ab-
stechern in die Aestethik die schwierigsten Stoffe der Kunst so anschaulich zu behandeln
wußte. Wenn er dann z. B. vergleichende Betrachtungen über die Künste anstellte,
ihre geschichtliche Entwickelung in markigen Zügen vorführte und den roten Faden
bloßlegte, nm den sie sich bis zur Gegenwart weiter rankten, wenn er auf die
großen Meister zu sprechen kam, ans ihre Vorgänger und Nachfolger, ihre Ueber-
kommnisse und Hinterlassenschaften, ihre Vorzüge und Schwächen, wenn er auf das
Wesen des Schönen und seine wechselnden Gestaltungen im Laufe der Jahrhunderte,
auf das stoffliche und geistige des Kunstkörpers, ans die hinter beiden liegende un-
erforschliche, im Wesen des Menschen begründete höhere Einheit einging, wenn er
sich dann — denn die Kunst war sein heiliges Element — so in Feuer und Flamme
hineingeredet hatte, daß man Mühe hatte, seinen Ausführungen zu folgen: da
rührte sich kein Mäuschen im Saale und alles hing an den großen leuchtenden
Augen, die sich so jugendlich-lebhaft im Kopfe drehten. Ich habe in meinem späteren
Leben die besten Werke über diese Gebiete studiert- hätte ich Reithers zerstreute
Ausführungen gesammelt und geordnet, niedergeschrieben und herausgegeben, das
Werk könnte ebenbürtig daneben bestehen!
Aber nicht nur theoretisch, auch praktisch war Neither thätig in der Musik.
Oft ließ er sich vorspielen, lobte, tadelte, griff selber in die Tasten ein und erklärte
schwierige oder falsch verstandene Stellen, immer belebend und fördernd. Neber
die geringsten Erfolge seiner Belehrungen, über ein anständig gespieltes Klavierstück,
ein artig gesungenes Lied konnte er sich freuen, daß ihm das Vergnügen auf dem
Gesichte stand. Sein Sprüchwvrt war: „In der Kunst muß man recht viel sehen,
hören und erfahren,- denn die Praxis allein ist der Schlüssel zum Verständnis der
Theorie", und in folgerichtiger Bethätignng seiner Anschauung ließ er keine Aus-
stellung, kein besseres Konzert in Speier vorübergchen, ohne seine Schüler hinein-
geführt zu haben.
Als Chorregent war er für die Aufführungen im Dome ein mitbestimmender
Faktor,- aber mit dem besten Willen war es ihm nicht möglich, so viel Zeit übrig
zu halten, als der Einsatz seiner ganzen Kraft hier erfordert hätte. Nur so viel glaube
ich behaupten zu dürfen, daß er bei längerem Leben mit flammendem Schwerte das
Schundzeng, das sich in den Kirchen breit macht und das Gute zu überwuchern
droht, daß er dieses Schundzeng aus seinem. Bistum vertrieben und daß sich auch
über den Vercinskatalvg der Cäeilianer seine Augen wie Gewitterwolken gehängt hätten!
Ganz seinen sonstigen großen Eigenschaften gleichwertig, war Reithcr ein Künstler,
ein Träger und Förderer der Musik, und es war mir ein Herzensbedürfnis, auch
diese Seite des unvergeßlichen Mannes einmal nach Gebühr vor die Oeffentlichkeit
zu bringen.
Wenn ich den seligen Direktor der Pfälzischen Eisenbahnen, den Negierungs-
direktor Albert v. Jäger, an zweiter Stelle bringe, so geschieht das nicht, nm die
künstlerische Rangordnung anzndeuten, sondern lediglich in der Notwendigkeit der
Aufeinanderfolge, da man ja zwei Herren gleichzeitig nicht dienen kann.
Jäger, einer der besten, edelsten Menschen, den die Pfalz je erzeugt hat, war
nicht nur ein tüchtiger Praktiker in der Musik, er war auch ein großer Förderer
der schönen Kunst durch seine Wohlthätigkeit im hohen Sinne des Herrn: Seine
Linke wußte nicht, was die Rechte gab! In Ausübung der Mnsik beschränkte er
sich natürlich bei seiner hohen Stellung auf das Hans und die Kirche. Die besten
Sänger aus Ludwigshafen und der nächsten Umgebung gehörten seinem Chore an,