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Verein Historisches Museum der Pfalz [Hrsg.]; Historischer Verein der Pfalz [Hrsg.]
Pfälzisches Museum: Monatsschrift d. Historischen Vereins der Pfalz und des Vereins Historisches Museum der Pfalz — 17.1900

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Nr. 9 (1. September 1900)
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https://doi.org/10.11588/diglit.30533#0142
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nis erhalten zu haben/ denn mit der Berufung Lützels 1845 zum Schulgehilfen
nach Zweibrücken war neben der Verpflichtung zum turnusmäßigen Organisten-
dienste noch der besondere Auftrag verbunden/ an außergewöhnlichen Festen und
Veranstaltungen auf Verlangen das Orgelspiel und die Gesangesleitung zu
übernehmen.
Von Zweibrücken aus setzte er den Verkehr mit Lachner fort, der ihm ein-
gesandte Kompositionsversuche berichtigte und mit allerhand Winken versah. Rinck
in Darmstadt hätte ihn wohl als Schüler angenommen/ aber der hochbetagte
Meister starb schon im folgenden Jahre. Nun wandte er sich an Seminarlehrer
Kühmstedt in Eisenach/ den Verfasser des klassischen Orgelwerkes „6racku8 aä
karnassum", der ihn auf eingesandte Arbeiten hin zu sich bat, ihm freien Unter-
richt in Aussicht stellte/ aber auf die sonstigen Kosten des Lebensunterhaltes auf-
merksam machte. Auch dieser Plan zerschlug sich, weil Lützels Urlaubsgesuch 1848
verweigert wurde. So blieb er denn auf die Privatstudien und den schriftlichen
Weg zu seiner Fertigstellung beschränkt. „In diesen sechs Jahren", sagt Lützel
selber, „habe ich mich fast zutote gearbeitet. Die Leibesbedürfnisse nahmen mir
den Tag, meine Herzensbedürfnisse die Nacht in Anspruch. Schlafen mußte ich
interludial".
1854 quittierte er den Schuldienst und schritt zur Verwirklichung seiner
Pläne. Zunächst gründete er den „Evangelischen Kirchenchor Zweibrücken", den
ersten derartigen Verein in der Pfalz, in dessen Leitung er jene Gesänge aufführte,
die er später unter dem Titel „Chorgesangbuch für Kirchen- und Schulchöre" in
Druck gab, ein Werk, in welchem ein seltener Ueberblick und eine seltene Sach-
kenntnis über die gesamte a oapolla-Litteratur von den Niederländern bis zur
Gegenwart in einer Auslese von 145 der kostbarsten Gesangsperlen niedergelegt
erscheint, worunter viele von Lützel selber komponierte, die sich den besten würdig
anreihen. Musikdirektor Hänlein von Mannheim, der von diesen Dingen etwas
versteht, nennt es eine „Fundgrube des bedeutendsten Singstosfes für kirchlichen
Chorgesang". Von welcher Seite man das Buch auch betrachten mag, Wahl, Zu-
sammenstellung, Redigierung, Verdeutschung oder Modernisierung der Texte, alles
zeigt künstlerische Vollendung bei aller Rücksichtnahme auf die realen Verhältnisse.
Die 4. Auflage, die das opu8 erlebte, bestätigt das einstimmige Urteil.
An das „Chorgesangbuch" schließen sich wohl mehr für die ländlichen Bedürf-
nisse seine dreistimmigen Choralgesänge und seine zwei- und dreistimmigen Chor-
gesänge mit Orgelbegleitnng an. Mit seinem „praktischen Organisten", einer
L-ammlung würdiger Choral-Vor- und -Nachspiele in zwei Bänden, gedachte er
jenen schwächern Organisten unter die Arme zu greifen, die zwar berufen, aber
nicht auserwählt sind, deren Zahl Legion ist und die unter den herrschenden Verhält-
nissen nicht aussterben können.
Lützel war ein, ich möchte sagen eingefleischter Anhänger des a eapolla-Ge-
sangs. Lieder mit geräuschvollen Begleitungen nannte er „Spektakelstücke", und
Herr Lehrer Moschel von Zweibrücken teilte mir mit, wie er, im Aerger über die
günstige Aufnahme solcher „Spektakelstücke", ein Bändchen Männerchöre in's Feuer
warf. Seine einzige Komposition mit Orchesterbegleitung ist der 24. Psalm, und
auch hiezu war die Begleitung ursprünglich nicht geplant. Sie ist erfolgt auf
Dräugen verschiedener Freunde, darunter eines aus St. Gallen, von dem noch
ein Dankbrief im Nachlasse gefunden wurde. Aergerlich über seine Nachgiebigkeit
in diesem Punkte ist er immer geblieben.
Bei dieser Gelegenheit fällt mir eine kleine Episode ein, die ich meinen ge-
ehrten Lesern als Beitrag zum Charakterbild nicht vorenthalten möchte. In der
Besprechung eines kurz vorher aufgeführten Oratoriums war Lützel über den
Dirigenten aufgebracht, der mit einem lärmenden Orchester, das abderidenhafte
des Gesanges zu verdecken, dem lieben Publikum den wirklichen Sand in die
 
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