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wurden von der Nachwelt der besonders toleranten Haltung dieses letzten bedeutenden
Kurfürsten aus der Pfalz-Simmerischen Linie zugeschrieben. Dabei übersah man aber,
daß er nie daran dachte, der viel größeren religiösen Minderheit der Katholiken religiöse
Duldung zu gewähren. Im Gegenteil: Jede öffentliche Ausübung der katholischen Reli-
gion war streng verboten, und weder Taufen noch Trauungen noch Beerdigungen waren
möglich; Katholiken konnten nur als Einzelpersonen innerhalb ihrer 4 Wände nach ihrem
Glauben leben. Sie wurden sogar gehindert, außerhalb der Pfalz katholische Gottesdienste
zu besuchen.

So war die offizielle Kirchenpolitik darauf ausgerichtet, die aus dem 30-jährigen Krieg
überkommene starke katholische Minderheit, die in manchen Ortschaften ein Fünftel bis
ein Drittel der Bevölkerung ausmachte, zum reformierten Bekenntnis zu bekehren. Über
diesen Bekehrungszwang, dem besonders die Kinder ausgesetzt waren, berichtete 1671
z. B. der reformierte Pfarrer von Nußloch, daß alle 19 eingesessenen Katholiken ihre Kin-
der im reformierten Bekenntnis taufen und erziehen ließen [63/12].
Diese offizielle kirchenpolitische Linie der möglichst vollständigen Rückführung der Kur-
pfalz zum reformierten Bekenntnis herrschte unter Karl Ludwig (1649-1680) und unter
seinem Sohn Karl (1680-1685). Da dieser letzte kinderlos und kränklich blieb, war die
1614 wieder katholisch gewordene Linie Pfalz-Neuburg erbberechtigt.
In Erwartung des Erbfalls verhandelten beide Seiten längere Zeit über die Religionsfrage
und schlössen 1685 in Schwäbisch Hall den sog. „Hallischen Rezeß". In diesem Vertrag
gestand der Nachfolger in der Kur Philipp Wilhelm zu, es in kirchlichen Dingen beim herr-
schenden Stand zu lassen. Nur die Berufung auch katholischer Beamten sollte dem
zukünftigen Kurfürsten erlaubt sein. Da starb Kurfürst Karl wenige Tage nach Fertigstel-
lung des Vertrags, jedoch bevor er ihn noch unterzeichnet hatte. Trotzdem versprach Kur-
fürst Philipp Wilhelm (1685 - 90) beim Regierungsantritt in Heidelberg, sich an den Ver-
trag zu halten, der in seinen Augen ja auch nicht die Möglichkeit ausschloß, die Duldung,
die bisher schon den Lutheranern und anderen erwiesen wurde, auch auf die Katholiken
auszudehnen.

Trotzdem waren dann die Religionsverhältnisse allgemein und besonders die Lage der
Katholiken grundsätzlich geändert; denn jeder Fall einer Bedrückung und Beeinträchti-
gung konnte nun vor einen wohlwollenden Landesherrn gebracht werden. Sehr rasch
jedoch wurde die religiöse Situation nach 1690 verschärft durch die Invasion der Franzo-
sen, die in den von ihnen beherrschten Teilen der Pfalz katholischen Gottesdienst einführ-
ten.

Getreu den Traditionen des 17. Jahrhunderts, daß Friedensverträge auch die konfessionel-
len Fragen zu regeln hätten, hatten die Franzosen im Frieden zu Rijswijk von 1697, m
Artikel 4 die Erhaltung des katholischen Bekenntnisses in den von ihnen geräumten Gebie-
ten der Pfalz durchgesetzt. Kurfürst Johann Wilhelm hielt sich, wohl nicht zuletzt um den
Franzosen keinen neuen Kriegsgrund zu geben, streng an diese Klausel, war aber darüber
hinaus durchaus gesonnen, die Religionsverhältnisse überhaupt neu zu ordnen. j->a
bedeutete in letzter Konsequenz natürlich eine gründliche Neuregelung der kirchhc e
Vermögensverhältnisse. ..

Zuerst aber verfügte er 1698 im sog. „Simultaneum" die Benutzung jeder Kirche durch^r.
an einem Ort vorhandenen Konfessionen. So hatten fast immer die Reformierten ihre*
chen den am Ort ansässigen Katholiken und/oder Lutheranern zu öffnen, damlt'
ihren eigenen öffentlichen Gottesdienst halten konnten. Diese Regelung erregte unSe" .
res Aufsehen und sorgte für große Unruhe, so daß man sehr bald dem Gedankerin
trat, in der ganzen Pfalz eine völlige Teilung des Kirchenvermögens zwischen den K"

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