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desfürst stand, der sich des Kirchenrates als eines Kirchenministeriums bediente.
Die geistliche Spitze der Kirche bildete der Generalsuperattendent in Heidelberg,
unter dem in den einzelnen Dekanaten anstelle der Dekane die Spezial-Superatten-
denten standen. Aufgabe dieser neuen geistlichen Behörden war es, die reine luthe-
rische Lehre, die rechte Verwaltung der Sakramente und strenge Kirchenzucht ein-
zuführen.2 Am 2. November 1556 legte eine Kommission ihren Bericht über die er-
ste und entscheidende Visitationsreise durch die Pfalz vor. Dieser Bericht enthält
eine Beschreibung des Zustandes der pfälzischen Kirche und Änderungsvorschläge.
Aus ihm erfahren wir, wie die Reformation durchgeführt wurde.
Wenn in einer Pfarrei die Visitationskommission angekündigt war, wurden Pfarrer,
Kapläne, Schultheißen und Kirchengeschworene zusammengerufen und ihnen der
Zweck der Visitation mitgeteilt. Darauf wurden alle einzeln befragt, wobei zuerst
die Schultheißen und Kirchengeschworenen drankamen, wie lange ihr Pfarrer schon
bei ihnen sei, wie oft er sonntags und in der Woche predige, ob er ihnen das Abend-
mahl auch mit dem Kelche reiche, ob er den Gottesdienst in deutscher Sprache und
ob er am Sonntagnachmittag für Kinder und Jugendliche Christenlehre halte, ob er
verheiratet sei und einen anständigen Lebenswandel führe. Dann mußte über den
baulichen Zustand von Kirche und Pfarrhaus, über Einkünfte und Pfründen, Früh-
messen, Altarstiftungen und Bruderschaften, aber auch über die Kirchenzucht der
Gemeinde Auskunft gegeben werden. Nachdem die Kommission dies von Schult-
heiß und Schöffen erfragt hatte, wurde der Ortspfarrer examiniert. Im einzelnen
wurde er befragt, wo er herkomme, wo er studiert und wer ihn eingesetzt habe, ob
er täglich die Bibel lese und überhaupt theologische Literatur besitze, wie er seine
Predigt vorbereite, wie er seinen geistlichen Pflichten nachkomme, wie sich die Ge-
meinde verhalte, wer unchristlich lebe, Hurerei, Zauberei oder Hexenwerk treibe,
wer Wiedertäufer, Schwenkfeldianer oder anderer Sektierer sei.
Nachdem Pfarrer und Kapläne so befragt worden waren, beriet sich die Kommission
und teilte die examinierten Geistlichen in drei Gruppen ein. Die erste umfaßte die-
jenigen, die in der neuen Lehre wohl unterrichtet waren und von ihrer Gemeinde ein
gutes Zeugnis erhalten hatten. „Inn die ander Ordnung komen die mittelmessigen",
während in der dritten Gruppe diejenigen waren, die entweder noch eindeutig „Pa-
pisten waren und den Antichrist in Ihren Hertzen sitzen hatten" oder sonst ungelehrt
und zum Kirchendienst ungeschickt waren. Die erste Gruppe konnte im Amt blei-
ben, die zweite wurde einer Umschulung unterzogen, und die dritte wurde zu einem
gewissen Termin aus der Stelle gewiesen und mußte abziehen. Die Schultheißen hat-
ten am folgenden Sonntag die Entscheidungen der Kommission der versammelten
Gemeinde mitzuteilen und dafür zu sorgen, daß die abgesetzten katholisch gebliebe-
nen Geistlichen auch wirklich abzogen.3

Im Heidelberger Amt stand es in den Augen der Kommission „übelgenug in der Kir-
chen". Sie mußte feststellen, daß noch fast alle Pfarrer zum Teil Papisten „oder aber
sonnst ungeschickte und ungelerte Leutseint", die sich in der Vergangenheit überdies
sehr wankelmütig gezeigt hätten.4 Man stellte fest, daß das kein Wunder sei; denn
die alten Pfarrer seien im Papsttum auferzogen und hätten nichts anderes gelernt als
Messe lesen, während die jungen Geistlichen auf keiner richtigen Universität stu-
diert, sondern sich möglichst rasch nach Erlangung der niederen Weihen in den Kir-
chendienst begeben hätten.5

Das Ergebnis der Visitation war, daß der gesamte niedere Klerus der Altaristen und
Kapläne aus den Pfründen entfernt wurde. Die geistlichen Stellen wurden drastisch
reduziert: es durfte nur noch ein Pfarrer in einer Gemeinde wirken. Diese revolutio-
näre Änderung des kirchlichen Personalwesens war relativ einfach durchzuführen,
zumal man ja mit dem damit verbundenen Einzug sämtlicher Pfründen zugunsten
des Staates allen Geistlichen, die sich nicht anpaßten, den Lebensunterhalt entzog.

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